Kopernikanische Wende hin zur Ökumene

Tagung beleuchtete Zweites Vatikanum aus multilateraler Perspektive


Darstellung der kopernikanischen Wende in einem Holzstich des 19. Jahrhunderts: Camille Flammarions Holzstich aus seinem L'Atmosphère: Météorologie Populaire (Paris, 1888).

Mainz (19.05.2014). Das Ziel der Einheit nicht aus den Augen verlieren und auf dem Weg der Ökumene stetig weitergehen. Diese Ermutigung stand am Ende der Tagung „Blick zurück nach vorn“ im Erbacher Hof (Mainz), die das Zweite Vatikanum aus der Sicht der multilateralen Ökumene beleuchtete.

Neben den Kardinälen Karl Lehmann (Mainz) und Kurt Koch (Rom), Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Bischof Karl-Heinz Wiesemann (Speyer), Bischöfin Rosemarie Wenner (Frankfurt am Main) und Landesbischof Friedrich Weber (Braunschweig) bezogen zahlreiche Wissenschaftler aus verschiedenen Konfessionen zu den Dokumenten des Zweiten Vatikanums Stellung.

Als „Kopernikanische Wende hin zur Ökumene“ bezeichnete der Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann vor allem das Ökumenismus-Dekret „Unitatis Redintegratio“, das vor 50 Jahren vom Zweiten Vatikanischen Konzil verabschiedet wurde. Es habe die Beteiligung der katholischen Kirche an der ökumenischen Bewegung befördert und eine größere Gemeinsamkeit mit den anderen Konfessionen geschaffen. In einer Rückschau auf die Wirkung des Dokuments zog Lehmann eine durchmischte Bilanz. Man habe zwar in der Ökumene viel erreicht, aber es werde nun versucht, sich „in dem, was erreicht worden ist, gut einzurichten und an den entscheidenden Fragen nicht weiterzuarbeiten“. Besonders im Blick auf die ethische Gestaltung der Gesellschaft sei es zu wichtigen gemeinsamen Positionen gekommen, zum Beispiel im Blick auf den Sonntagsschutz, die karitative Arbeit oder die Gestaltung einer sozialen Gesellschaft. „Aber bei den gegenwärtigen Herausforderungen müssen wir noch mehr den Schulterschluss üben“, sagte der Kardinal. Das bedeute gerade nicht, die noch ausstehenden theologischen Fragen beiseite zu schieben: „Wir dürfen nicht aufgeben, nach einem differenzierten Konsens zu suchen. Ob er kirchentrennend ist oder nicht, muss sich dann entscheiden, vielleicht werden auch Divergenzen bleiben.“

Die Notwendigkeit einer tiefgreifenden theologischen Arbeit betonte auch der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kurt Kardinal Koch. „Das Ziel unserer ökumenischen Bemühungen muss die sichtbare Einheit der Christen bleiben“, betonte der Kardinal. „Wenn das Christentum die Einheit aufgibt, gibt es sich selbst auf.“ Gleichzeitig bestehe noch großer Klärungsbedarf bei der Frage nach dem jeweiligen Kirchenverständnis. Koch regte an, insbesondere das sakramentale Band der Taufe zu stärken und die geistliche Ökumene zu fördern. „Im Gebet sind wir schon jetzt vereint und wir verdeutlichen, dass uns die Einheit nur von Gott geschenkt werden kann“, sagte Kardinal Koch.

In zahlreichen Statements nahmen Vertreter anderer Konfessionen zu den Texten des Zweiten Vatikanums Stellung, unter ihnen baptistische Theologen wie die Oldenburger Kirchenhistorikerin Andrea Strübind und der emeritierte Professor für Konfessionskunde in Bochum, Erich Geldbach, der mennonitische Theologe Fernando Enns (Hamburg) und der orthodoxe Theologe Assaad Elias Kattan (Münster). In den jeweiligen Statements wurde deutlich, wie sehr das Ökumenismus-Dekret das ökumenische Miteinander verändert habe. Allerdings stünden die Texte nur am Anfang einer Entwicklung, deren Ende noch lange nicht erreicht sei. Ein wesentlicher Schritt sei darin erreicht worden, das Heilswirken Gottes auch in anderen Kirchen als der römisch-katholischen anzuerkennen. Allerdings schmerze nach wie vor, dass die Kirchen der Reformation mit der Bezeichnung „kirchliche Gemeinschaften und nicht Kirchen im eigentlichen Sinn“ belegt würden.

Landesbischof Friedrich Weber (Braunschweig), Präsident der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), stellte die Leuenberger Konkordie von 1973 als gelingendes Modell einer Kirchengemeinschaft vor. „Die Konkordie ist kein Einheitsdokument, sondern zeigt auf, wie Kirchen sich gegenseitig anerkennen und miteinander ihren Glauben in Verkündigung und den Sakramenten leben können.“ Diese Gemeinschaft führe aber zu einem verbindlichen Miteinander. Allerdings sei auch diese Gemeinschaft erst nach langem Ringen zustande gekommen: „Wenn Ungeduld in ökumenischen Fragen aufkommt, erinnere ich immer daran, dass wir als lutherische und reformierte Kirchen 450 Jahre lang beim Abendmahl getrennt waren“, sagte Weber.

Geduld mahnte auch Kardinal Lehmann bei den weiteren ökumenischen Bemühungen an. Was schon jetzt getan werde könne, das solle man tun, vor allem in gesellschaftlichen Fragestellungen wie dem Sonntagsschutz oder biomedizinischen Problemen. Aber vor allem in den wesentlichen Fragen müsse man intensiv weiterarbeiten. Es sei sehr misslich gewesen, dass an manchen Texten und Problemen ungleichzeitig gearbeitet wurde. „Manche dieser Erarbeitungen wie beispielsweise Dokumente zur Ämterfrage sind nun in Vergessenheit geraten“, so Lehmann.

Als ein wichtiges und effektives Instrument für die Bearbeitung der ökumenischen Fragestellungen bezeichnete Bischof Karl-Heinz Wiesemann die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), deren Vorsitzender er ist. In ihr arbeiten nahezu alle Kirchen in Deutschland miteinander. „Diese multilaterale Perspektive hilft uns, Fragen aus verschiedenen Blickwinkeln anzugehen und anschließend einen größeren und tragfähigen Kompromiss zu finden“, sagte Wiesemann. Er ermutigte dazu, die ACK mehr als einen Ort der Verständigung wahrzunehmen und für die Klärung in theologischen, ethischen und praktischen Fragen zu nutzen. „Wir haben uns in den vergangenen Jahren zu sehr mit uns selbst beschäftigt und müssen auf die Fragen der Gegenwart gemeinsam reagieren.“ Diese Perspektive unterstrich die Bischöfin der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland, Rosemarie Wenner (Frankfurt am Main): „Wir haben in dem guten ökumenischen Miteinander in der ACK hier in Deutschland eine außergewöhnliche Situation, die in anderen Ländern so nicht gegeben ist“, sagte die Bischöfin, die bis vor kurzem auch Vorsitzende des Weltbischofsrates der methodistischen Kirche war. Diese Chance sollten alle Kirchen nutzen. „Von der multilateralen Perspektive profitieren auch die Initiativen der beiden großen Kirchen“, bestätigte Bischof Wiesemann.


Pressemeldung der ACK, 19. Mai 2014