'Man sollte Reformiertsein nicht in eine Schublade stecken'

Interview mit Setri Nyomi zur Hauptversammlung des Reformierten Bundes 2024


© Setri Nyomi

230 Mitgliedskirchen in mehr als 100 Ländern: Lässt sich eine weltweit gültige Identität der Reformierten innerhalb der Weltgemeinschaft überhaupt festmachen? Setri Nyomi, Interimsgeneralsekretär WGRK bezweifelt das - und fragt sich, ob wir überhaupt eine feste Definition von "Reformiertsein" brauchen.

reformiert-info.de: Herr Nyomi, „Was ist reformiert?“ - So lautet das Thema unserer Hauptversammlung im April 2024. Eine Frage, die offenbar nicht leicht zu beantworten ist. Was bedeutet Reformiertsein für Sie persönlich?

Setri Nyomi: Das stimmt, es gibt immer wieder Debatten darüber, was Reformierte Identität sei. Meiner Meinung nach aber gibt es Merkmale der Reformierten Identität, die all diese unterschiedlichen Auffassungen verbinden. Da ist zum einen die Theologie Calvins und Zwinglis, gemeinsame Bekenntnisse wie den Heidelberger Katechismus. Unser Glaube gründet auf den fünf Solas: Sola Scriptura, Sola Gratia, Sola Fide, Solus Christus und Soli Deo Gloria. Zum anderen ist da die Haltung der Reformierten zur Rechtfertigungslehre: Der Glaube umfasst nach unserer Vorstellung unser gesamtes Leben nicht nur den spirituellen Teil. Reformierte wollen mit all ihren Taten Gott ehren. Ob Klimawandel, Rassismus oder Armut: Missstände sind für uns ein Aufruf zum Handeln. Und das an jeden von uns: ob Priester, Landwirt, Lehrer.

reformiert-info.de: Dennoch: Es gibt unterschiedliche Auffassungen von „Reformiertsein“. Wie kommt das?

Setri Nyomi: Die reformierte Familie hat weltweit rund 230 Mitgliedskirchen, verteilt auf mehr als 100 Länder, die sich selbst als reformiert sehen. Sie alle glauben dasselbe. Die Umsetzung, die Vorstellungen, wie „reformiert“ auszusehen hat und wie unser Glaube die Gesellschaft betrifft, unterscheidet sich aber. Wenn man „reformiert“ in zwei oder drei Sätzen definieren möchte, wird das deshalb nicht funktionieren. Natürlich stellen diese Unterschiede vor Herausforderungen. Aber ich glaube, sie sind vor allem eine Inspiration. Wir vereinen Menschen weltweit. Diese vielen unterschiedlichen Perspektiven sind ein Geschenk an uns alle.

reformiert-info.de: Eine Definition ist also nicht möglich?

Setri Nyomi: Rückfrage: Warum suchen wir überhaupt nach Definitionen? Warum suchen wir nicht lieber nach Kennzeichen von Reformiertsein? Man kann Reformiertsein beschreiben. Man sollte Reformiertsein aber nicht in eine Schublade stecken.

reformiert-info.de: In Deutschland verschmelzen immer mehr Gemeinden. Unierte Kirchen vereinen Lutheraner und Reformierte. Müssen Reformierte um ihre Identität fürchten?

Setri Nyomi: Nein, das glaube ich nicht. Wir sollten uns nicht darum sorgen, ob wir unsere reformierte Identität behalten. Das wäre auch gar nicht im Sinne des reformierten Gedankens. Schon seit Calvin ist der reformierte Glaube sehr stark ökumenisch geprägt. Reformierte wollen nicht einfach die „besseren“ Christen sein, sondern sich austauschen und in der Gesellschaft handeln. „Ihr seid das Salz der Erde […] das Licht der Welt“, so heißt es auch in der Bibel. Reformation bedeutet für uns einen ständigen Wandel. Wenn Reformierte Teil der unierten Kirchen werden, dann können sie also dort ihren Glauben einbringen, die Ideen des Heidelberger Katechismus teilen.

reformiert-info.de: In welche Richtung bewegte sich die Vorstellung von „Reformiertsein“ in den letzten Jahren?

Setri Nyomi: Das ist unterschiedlich. Aber in Deutschland zum Beispiel sind die Reformierten bis heute stark geprägt von der Barmer Theologischen Erklärung. Die Ideen Karl Barths setzen sich auch in anderen Teilen der Welt fort, so zum Beispiel in der Erklärung von Accra. Glaube fordert uns immer wieder heraus. Reformation bedeutet, kritische Fragen stellen. Das gilt auch heute noch.

reformiert-info.de: Welche Rolle sehen Sie für sich in diesem Prozess? Warum entschieden Sie sich für Ihren beruflichen Weg als Theologe und nun als Interims-Generalsekretär der Weltgemeinschaft?

Setri Nyomi: Schon in meiner Jugend fragte ich mich, wie ich mich mit meinem Glaube auch außerhalb der Kirche beschäftigen könnte. Ich wollte Jesus folgen, wusste aber nicht, wie. Der entscheidende Moment kam für mich in meiner Zeit in den USA. Dort sah ich Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Ich war enttäuscht – und entschied mich, dass ich mich für eine Welt einsetzen möchte, wie Gott sie will. Wir sollten die Zeichen unserer Zeit deuten: Weltweit finden wir Armut, Unterdrückung, unterschiedliche Formen der Ungerechtigkeit. Kirchen haben zwar darauf reagiert. Aber die Ungerechtigkeiten sind nicht überwunden.


RB
25.-27. April 2024, Französischer Dom (Berlin)

Das Programm steht: Die Hauptversammlung widmet sich in diesem Jahr Fragen zur Reformierten Identität. Für das Moderamen stehen Wahlen an.