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Steinzeitislam

Nun sind sie wieder da, die Taliban. Afghanistan, hört man, drohe um zwanzig Jahre zurückzufallen, ja, Kommentierende in unseren Medien sprechen gar von der Rückkehr des Steinzeitislam. Das sollten sie nicht tun, finde ich, nicht im öffentlich-rechtlich gesicherten Rahmen, nicht in solcher Verantwortung. Eine propagandistische Entgleissung, und eine intellektuelle Nullnummer!

Das Wort Steinzeit soll nicht nur einen uralten Zustand signalisieren: etwas, das allenfalls ins Museum für Paläontologie gehört, aber so wenig in die Postmoderne wie Dinosaurier. Es soll vor allem einen primitiven Zustand suggerieren: fehlende Bildung und Entwicklung, fehlende Kultur. Ob das neue Unwort dem Stand moderner Steinzeitforschung gerecht wird, müssen Paläontologen beantworten, ich bezweifle es. Vom Stand der Theologie und Soziologie ist es völlig unbeleckt: Fundamentalismus gibt es, theologisch betrachtet, in jeder Religion! Und kein Fundamentalismus ist, soziologisch betrachtet, eine Frage der Entwicklung! Wörter wie Steinzeitchristentum oder Steinzeitökonomie liessen sich ebenso prägen und wären ebenso propagandistisch. Auch unter Intellektuellen gibt es Fundamentalismus, sogar besonders elaborierten.

Er ist eine Denkform. Sie ist weder religiös noch zeitlich festgelegt. Ihre Merkmale sind Autoritarismus, Dualismus und Purismus, und alle drei sind unhinterfragbar. Wer dennoch fragt, erkennt absolutistische Strukturen, Gedankenwelten in Schwarz-Weiss-Mustern und zwanghafte Reinheitsvorstellungen. Niemand muss das eigene Land verlassen, um derlei zu finden, und wer vom sicheren Pult ein solches Unwort hinausposaunt, könnte echten Mut zeigen, indem er Betroffenen hilft.

Oder er könnte den Dialog mit landeseigenen Fundamentalisten sucht: christlichen Puristen etwa, die am liebsten lgbt-freie Zonen einrichten würden, christlichen Dualisten, die ergebnisfreie Lust als sündig und krank diffamieren, christlichen Autoritäten, die noch immer Weisheit mit Weisshaarigkeit verwechseln. Warum in die afghanische Ferne schweifen, sieh, das Böse liegt so nah. (Hoffentlich erfindet keiner das Unwort Steinzeitjournalismus?)


MK