Wortklauberei
Glaubenssachen
Wortklaubereien
Das vor allem scheint sie sich selbst ins Pflichtenheft ihres Amts als einer Aussenministerin geschrieben zu haben. Und so vergeht kein Interview, in dem sie nicht deutlich macht, wie sie gerade beim Chinesen oder Russen deutlich gemacht habe, dass unsere europäischen Werte … Manchmal zähle ich mit, wie oft die Wendung auftaucht. Bei ihr ist sie reichlich zu hören, geradezu penetrant, aber oft auch bei anderen: Deutlichkeit ist zu einem wesentlichen Merkmal politischer Kommunikation geworden. Wem deutlich ist, will nicht vernebeln. So will sie nicht schwatzen, sondern Klartext reden. Bravo!
Demokratisch Gewählte müssen behaftbar sein. Während Autokraten selbst die Verfassung ihres Landes ändern, um bis auf Weiteres an der Macht zu bleiben, ist Macht bei Demokraten nur auf Zeit an Volksvertreter verliehen, damit sie dem Wohl des Volks dienen. Zur Macht auf Zeit gehört Deutlichkeit in ihrer Ausübung. Während Autokraten ihre Kommunikation hinter Floskeln verstecken, sei es die von der Einmischung in innere chinesische Angelegenheiten oder die von den russischen Streitkräften, die keinerlei Schläge auf Wohnviertel ukrainischer Städte vollziehen, Wendungen, die man mit der Zeit auswendig hersagen kann, müssen sich Demokraten unvorbereitet den Fragen einer freien Presse stellen. Bravo!
Deutlich zu sein, ist dann am wertvollsten, wenn keine Formeln und Floskeln vor der Wahrheit schützen, wenn keine ideologisch geschulten Sprecher vorgeschickt werden, wenn der eigene Auftritt nicht barocker Hofhaltung folgt.
Rhetorisch geht es, wenn etwas deutlich gemacht werden soll, meistens um das genos epideiktikon, wenn man Aristoteles liest: Eine bestimmte sittliche Gesinnung, heute die europäischen Werte, werden verdeutlicht, indem Gutes und Tugendhaftes bzw. Schlechtes und Unehrenhaftes benannt wird, etwa Umerziehungslager für Uyguren oder Bombardierungen von Krankenhäusern. Sie gelten als tyrannisches Machtgebahren, das verworfen wird. Was die genannten Protagonisten empört, von Autokraten nicht anders zu erwarten, begeistert das heimische Publikum: Denen hat sie’s gesagt. Bravo!
Aristoteles, Erfinder der Rhetorik als eines Studienfachs, hat übrigens deutlich gemacht, dass in einer Polis Demokratie ohne Rhetorik nicht funktioniert.MK
Zuerst die positive Nachricht für alle Liebhaberinnen des Genitivs: Er ist für einmal gerettet! Sodann die negative für alle Liebhaber der Präposition: Die vorgesehene verschwindet allmählich. Sie heisst wegen. Sie wäre kürzer, einfacher und eigentlich geläufiger. Aber eben, sie steht nicht nur mit dem Genitiv, erstes Problem, sondern wird, zweites Problem, auch noch nachgestellt, erkennbar an der Konjunktion deswegen. Wie lateinisch causa nachgestellt ist, erkennbar am ehrenhalber verliehenen Titel honoris causa. Und das ist denn auch die Parallele: deshalb wie deswegen statt aufgrund. Wie an der noch verwendeten Formulierung von Gesetzes wegen zu erkennen ist, war wegen ursprünglich mit von verknüpft, jenes vor und dieses nach dem Genitiv.
Wieso aber kommt die umständlichere und längere Wendung in Mode? Sie ist mittlerweile auch in die Sprache der Nachrichten gelangt. Ich vermute erstens, es ist wegen der Nachstellung von wegen: Aufgrund schwerer Niederschläge kam es zu Überschwemmungen klingt einfacher als schwerer Niederschläge wegen kam es zu Überschwemmungen. Und ich vermute zweitens, es ist wegen des Worts Grund, denn an wegen ist nicht ablesbar, dass es um eine Begründung geht. So verdrängt das umständlichere aber einfachere Wort das elegantere aber schwierigere.
Auf der Strecke bleibt einmal mehr die sprachliche Eleganz. Nimmt man einen rhetorisch schön verfassten Text wie ein dramaturgisch wohl inszeniertes Ballett, so ist eine leichte Figur am Verschwinden, während eine behäbige sich in den Vordergrund drängt. Der Einfachheit und Verständlichkeit wegen.
MK
Mein Sprachschatz kennt das Sonntagskind, mit aufwertendem Unterton als Kind des Glücks gepriesen, und den Sonntagsfahrer, mit abwertendem Unterton als Hasardeur der Landstrasse verschrien. Die Sonntagsrede aber kennt er nicht, dafür die Kanzelrede, deren klassischer Tag zwar der Sonntag ist, der aber nicht prinzipiell etwas Abwertendes eignet.
Wie, wenn es denn so wäre, konnte aus der Kanzelrede der Kirche die Sonntagsrede der Presse werden? Gehen denn Journalistinnen und Schreiberlinge sonntags zur Predigt? Kaum. Wissen sie denn, was Homiletik und Rhetorik für die Kunst der Rede bedeuten? Kaum. Ist ihnen denn irgendwann irgendetwas heilig? Kaum. Ich vermute, sie unterstellen der Predigt prinzipiell, wovor Heinrich Heines Wintermärchen ironisch warnt: dass die Herren Verfasser ihr altes Entsagungslied, das Eiapopeia vom Himmel, zwar unverdrossen singen, in Wahrheit aber heimlich Wein trinken, während sie öffentlich Wasser predigen. Doch lesen Presseleute wirklich Heine? Kaum. Sie würden sich nämlich wundern, dass die Sonntagsrede dort ein Gassenhauer ist, und nicht etwa vom Pfarrer gesungen, sondern mit wahrem Gefühle und falscher Stimme von einem kleinen Harfenmädchen …
Wie, wenn weder Predigtpraxis noch Heinelyrik bekannt sind, verläuft nun der Weg von der Kanzelrede über das Entsagungslied zur Sonntagsrede? Er schlingert. Unter hundert Predigten mag es zehn missratene geben, unter fünfzig Entsagungsliedern fünf mit Doppelmoral, aber zum abwertenden Unterton der Sonntagsrede kann es nur durch Verleumdung kommen. Ihr liegt der willkürliche Schluss de minore ad maius zugrunde. Weil einige Politiker salbadern wie schlechte Pfarrer, moralisierend reden ohne Folgen, heisse Luft erzeugen, die rasch verfliegt, wird aus der Predigt der einen die Sonntagsrede der anderen. Billig, denn die derart diffamierte Institution wehrt sich nicht mehr. So gewinnen die Hasardeure der Rhetorik zwar, aber flüchtig wie Harfenmädchen und ohne Aussicht auf Glück.MK
Sie sei eine der bedeutendsten Dirigentinnen, erklärt die Moderatorin mit wichtigem Ton im Kulturradio. Das verbreitet Respekt und erzeugt Aufmerksamkeit. Wieso aber ist sie das? Ich erfahre es nicht. Irgendwer in der Redaktion hat das beschlossen und erklärt sich nicht. Ich bin verärgert. Da gibt es ein geheimes rating & ranking, dessen Zustandekommen verborgen bleibt, vermutlich erstellt von Plattenfirmen und Musiklabels, die Musikliebhaber vor allem als Käufer verstehen. Ich fühle mich verkohlt. Im Graubereich des Uneindeutigen aber Wirkungsvollen lässt sich bestens verdienen. Eine(r) der kommt im Kulturradio zig Male vor im Lauf eines Tages.
Eindeutig wäre der Superlativ die beste Dirigentin, doch damit verschafft man sich Gegnerinnen und Zuschriften, oder besser noch der Elativ eine sehr gute Dirigentin, doch damit konterkariert man die Lust am rating & ranking. Also bleibt es notorisch bei eine der, ohne dass ich jemals erfahre, wer denn die anderen dieser best of sind.
In der Kirche herrscht das schiere Gegenteil vor. Als ich einst einem leitenden Gremium das Projekt einer Stadtakademie vorstellte und dabei reichlich visionär meinte, aus der Pfarrschaft der Landeskirche sollten die Besten, jene, die etwas Einmaliges und Ausserordentliches zu bieten hätten, selbstverständlich ein Format in der geplanten Stadtakademie gestalten und ausfüllen, war die massregelnde Antwort des Präsidenten, in seiner Landeskirche gebe es keine Besten, denn alle seien gleich gut. Roma locuta.
Wo, frage ich mich, liegt zwischen dem Uneindeutigen aber Wirkungsvollen und dem Eindeutigen aber Wirkungslosen die Wahrheit? Ich schlage vor, den Elativ wiederzuerwecken und so zu einer Renaissance der Eliten zu kommen. Mindestens die Kirche hat sie bitter nötig.
MK
Gibt es das? Ja, im Fachjargon. Wer verwendet ihn? Sicherheitsleute bei Grossereignissen oder in Notfällen. Und worum geht es? Um die ordentliche Fortführung von Menschenmengen aus einer Gefahrenzone. Wer weiss das? Der Duden im Netz.
Wie Einrichtung von einrichten kommt und Versammlung von versammeln, müsste Entfluchtung von entfluchten kommen. Zwar gibt es flüchten und entfliehen, aber entfluchten gibt es nicht: ein Indiz für bürokratische Wortbildung am Schreibtisch und fürs Register. Man stelle sich die Konjugation vor: ich entfluchte, du entfluchtest, sie entfluchtet. Oder: wir entfluchteten, ihr entfluchtetet, sie entfluchteten. Der Konjunktiv ich entflüchtete wäre verwirrlich. Ein Schreibtischmonstrum. Es geht darum, Durcheinander, Panik und Flucht zu verhindern, damit niemand stürzt, zertrampelt wird und womöglich daran stirbt. Um wieviel einfacher wäre zum Verb Flucht vereiteln das Substantiv Fluchtvereitelung gewesen parallel zu Flucht ergreifen und Fluchtergreifung.
Allerdings wäre das einfachere Wort auch das politisch heiklere. Man stelle sich nur vor, alle, die einst zu Hause die Flucht ergriffen hatten, um ihre Haut vor Armut und Hunger oder Krieg und Verfolgung zu retten, sollten nun ordentlich fortgeführt werden, aber mit Fluchtvereitelung, denn sie wollen ja bleiben und sicher nicht nach Hause zurück. Fluchtvereitelung wäre strategisch ein Teil ordentlicher Ausschaffung und Rückführung, noch zwei solcher Wörter. Da wäre Entfluchtung, nur verstanden am Schreibtisch und im Register, nicht aber im Alltag von Hinz & Kunz, das bessere Wort, denn es würde verhüllen, was passiert.
Gerade bei bürokratischen Neologismen lohnt sich zivilgesellschaftliche Wachsamkeit: Wer verwendet Entfluchtung in welchem Kontext? Es wäre nicht das erste Mal, dass bürokratische Sondersprache verhüllt auch ideologische Propagandasprache ist. L.T.I. hiess jene des Tausendjährigen Reichs: Lingua Tertii Imperii.MK
Als Pensionär habe ich Zeit und geniesse bei Arte vorabendliche Naturfilme. Ich bin begeistert von den Bildern. Einstellungen, Sequenzen und Schnitte sind von höchster Qualität. Wenn ich mir nur ein wenig vorstelle, wieviel Zeit und Geduld es braucht, um derart gute Bilder einzufangen, steigert sich mein Respekt fast ins Unermessliche. Was das biblische Wort Schöpfung bedeutet, wird sichtbar oder ist in seiner Unerschöpflichkeit zu ahnen. Das ist hohe ästhetische Bildkunst. Chapeau!
Doch welche Abstürze aus dem Höhenflug verursachen fast immer die soundtracks! Euphonische Streicherklänge aus billigsten Soaps, Endlosschleifen immergleichen Fruchtwassergeplätschers, billigste Nachahmungen romantischer Tongemälde. Endgültig verärgert werde ich allerdings durch die Texte! Sie versuchen, Tiergeschichten zu erzählen, brechen aber an der nächsten Weggabelung ein, weil die Bilder nicht erzählen, sondern geschnitten sind. Narration und Dramatik um jeden Preis, als würde ein Bilderbuch für Achtjährige vorgelesen. Musikalisch und literarisch handelt es sich meistens schlicht um Kitsch. Merde!
Indikator derartiger Abstürze ist das Adjektiv einzigartig, das in keinem Film fehlt. Es verursacht den fragwürdigen Reiz zu warten, nach wie vielen Minuten es erstmals fällt, und zu zählen, wie viele Male es im selben Film vorkommt. Sooft jedenfalls, dass Normales einzigartig erscheint. Wer schreibt solche Schrottexte? Musik & Text bilden fast immer ein einzigartiges Beispiel für fehlende ästhetische Kongenialität. Sie können dem Bild das Wasser nicht reichen. Elephanten im Porzellanladen!
Mein Rat: Geniessen Sie die Filme ohne Ton und holen Sie sich zum Genuss des Genusses das passende Getränk. Einen Seidel Bier für die Natur Böhmens und Mährens, eine Tulpe Schaumwein für die Champagne oder den Veneto, ein Glas Carmenère oder Malbec für die Anden, einen Tumbler Bourbon für die Nationalparks in Nordamerika, eine Schale Old Cuban für die Inselwelt der Karibik. Ich garantiere Ihnen einen einzigartigen Genuss!MK
Der Sprecher verliest die Nachricht, die Moderatorin erläutert den Rahmen, dann gibt sie einer externen Stimme das Wort, damit Nachricht und Rahmen im grösseren Kontext eingeordnet werden. Das Wort ist deutsch und klingt besser als kommentieren oder interpretieren. Es ist vor allem volksnah, denn die kleinbürgerliche Mitte, die nach den Hauptnachrichten um zehn herum ins Bett geht, räumt gern auf und hasst aufgewühltes Durcheinander vor der verdienten Nachtruhe, während die gesellschaftlichen Leitmilieus, die sich erst zu den Hauptnachrichten um zehn herum zuschalten, angeregt werden wollen für die nachfolgenden Talkrunden, die das Pro und Contra bis nach Mitternacht vertiefen werden. Die einen brauchen ihre prästabilierte Harmonie, um zu schlafen, die anderen ihre agents provocateurs, um in Diskussionslaune zu kommen. Also werden Expertinnen und Experten gebeten, den Kasus einzuordnen.
Die Tätigkeit des Einordnens setzt voraus, dass es eine Ordnung gibt und der Experte weiss, wie sie beschaffen ist. Selten aber wird sie beim Einordnen erklärt. Kleinbürgerliche stört das nicht, wenn nur schön aufgeräumt wird, doch Intellektuelle bringt es auf die Palme, weil es nicht seriös ist. Genau so soll es aber sein! Fernsehende werden milieugerecht stimuliert. Sie kommen wieder, egal, ob für die Schlaftablette oder das Aufputschmittel.
In antiken Zeiten herrschte die Vorstellung einer göttlich garantierten Weltordnung vor, die alles umfasst und sich in alles verzweigt. Ägyptisch hiess sie Ma’at und war eine Göttin, hebräisch Zedaqah und bedeutete Gottesgerechtigkeit, lateinisch Ordo und reichte weit in die Neuzeit hinein, rechtlich gar bis zur Französischen Revolution. Immer war diese Ordnung die eine, und nie musste ein Kasus eigens eingeordnet werden, denn sie war allgegenwärtig. Seither aber gibt es jede Menge unterschiedlicher Ordnungen, und wer einordnet, interpretiert oder kommentiert, schuldet intellektueller Redlichkeit die Nennung seiner Kriterien. Ansonsten handelt es sich wirklich nur mediengerecht um die Schlaftablette oder das Aufputschmittel.MK