Töchter Gottes, nicht Bürgerinnen zweiter Klasse

Die Evangelische Kirche in Syrien und dem Libanon (NESSL) ordiniert die zweite Frau


Die beiden frisch ordinierten Pfarrerinnen: Rula Sleiman (links) und Najla Kassab.

Im Januar hat die Evangelischen Kirche in Syrien und dem Libanon (National Evangelical Synod of Syria und Lebanon) entschieden, auch Frauen zu ordinieren. Im Februar wurde mit der Theologin Rula Sleiman die erste Pfarrerin ordiniert, am 24. März folgte mit Najla Kassab die zweite Pfarrerin.

Für die Evangelisch-reformierte Kirche hat Sabine Dreßler, Ökumenereferentin beim Reformierten Bund, an der Ordination teilgenommen und berichtet aus Beirut:

Die Kirche im Stadtteil Rabieh in Beirut ist mit etwa 400 Menschen voll; überall freudige, gespannte Gesichter, Presse und Fernsehen sind da, man spürt: die Menschen sind gekommen, weil etwas Besonderes in diesem Gottesdienst geschieht. Nach jahrelangen Diskussionen hat die National Evangelical Synod of Syria und Lebanon (NESSL) vor kurzem die Frauenordination beschlossen. Heute wird als zweite Frau die Theologin Najla Kassab in ihr Amt als Pastorin eingeführt. Sie leitet seit langem die Bildungsabteilung in ihrer Kirche, hat an der Near East School of Theology (NEST) in Beirut und in Princeton/USA studiert, organisiert die Frauenarbeit und die Schulen für Flüchtlingskinder, die von Syrien in den Libanon geflohen sind.

Auch von dort, aus Syrien, sind Menschen gekommen, um heute dabei zu sein – obwohl in Damaskus und an anderen Orten die Kämpfe wieder ausgebrochen sind, obwohl die Anreise gefährlich ist. Für andere, die gern gekommen wären, war es dann im letzten Augenblick doch nicht möglich; sie hätten sich in Lebensgefahr begeben. So wichtig ist das Ereignis, dass an diesen strahlenden Frühlingsnachmittag Ende März stattfindet.

Aus der Predigerin wird heute eine Pastorin – ein historisches Ereignis in einem gesellschaftlichen, politischen und religiösen Kontext, in dem Frauen noch immer nicht die gleichen Rechte wie Männer haben. Die NESSL setzt mit dieser Ordination nicht nur in der eigenen Kirche und in der Ökumene vor Ort, sondern in der Gesellschaft insgesamt ein sehr wichtiges Zeichen, theologisch wie politisch. Die Gemeinde weiß das, und man hat den Eindruck, dass sie darauf stolz ist.

Der Gottesdienst wird auf Arabisch gehalten, aber für Gäste, etwa aus den USA und aus Schweden, wird im Kirchenschiff Übersetzung angeboten. Ich sitze mit 35 Kollegen, darunter drei Frauen, im vorderen Bereich und bekomme „Flüsterübersetzung“ von meinem Nachbarn: Die Predigt des Präsidenten der NEST, George Sabra, zu Johannes 21 ist sehr persönlich gehalten. „Weide meine Lämmer!“ – die Aufforderung Jesu an Petrus soll ab jetzt auch für Najla Kassab gelten.

Die anschließende Einsegnung der neuen Kollegin ist dann der anrührendste Moment: Alle Pastoreninnen und Pastoren scharen sich um sie, rücken dabei immer dichter zusammen und legen sowohl ihr als auch einander die Hand auf. Für mich ist das ein Bild der Situation der Christen im Nahen Osten: Eine Minderheit, die sich aneinander hält und gemeinsam an Gott, in aller Ungewissheit und Gefährdung. Und da auch wir Gäste einbezogen werden ist dies ein besonderer Ausdruck unserer Verbundenheit.

Drei Fragen an Pastorin Najla Kassab

Frau Kassab, Sie sind, neben der Leitung des Bereichs Schule und Bildung Ihrer Kirche seit langem eine angesehene Predigerin. Was heißt es, jetzt eine ordinierte Pfarrerin zu sein?
Kassab: Ich bin seit 1990 damit beauftragt, der jüngeren Generation zu vermitteln, was es bedeutet, Kirche zu sein, und wie die verschiedenen Ansichten über das "Priestertum aller Gläubigen" zu verstehen sind. Mit der Frauenordination machen wir unsere Haltung dazu deutlich: Alle, die "Christus kennen", sind eingebunden in das kirchliche Leben und zwar auf allen Ebenen, seien es Männer oder Frauen.
Natürlich sind Frauen sehr engagiert in unseren Gemeinden, ich könnte auch sagen, sie sind ein Grundstein für den Dienst unserer Kirche. Trotzdem waren sie nicht ordiniert und damit ausgeschlossen von der Verwaltung der Sakramente. Durch die Ordination werden Predigt und Sakramente zusammengebracht, entsprechend einer reformierten Theologie, die genau dieses nicht voneinander trennt. Die Sakramente zu feiern ist ein lebendiges Beispiel dafür, die Talente von Frauen zu nutzen. Es ist eine Art und Weise, 500 Jahre Reformation zu feiern.

Auf welche Weise wird dieser Schritt die Zukunft Ihrer Kirche verändern?

Kassab: Unsere Kirche, die als erste Kirche im Nahen Osten die Frauenordination beschlossen hat, übernimmt damit eine prophetische Rolle in der Region und im Miteinander der Religionen und Kirchen. Trotz allem, was wir hier an Schwerem erleben, den Krieg, die Situation der Flüchtlinge und so viel tägliches Leid, ist die Kirche aufgestanden aus der Asche und hat ein Beispiel für die andauernde Reformation gegeben und dafür, dass der Heilige Geist in seiner Kirche wirkt.

Als kleine Minderheit haben wir den Status von Frauen im Nahen Osten verändert; wir waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts die ersten, die Frauen unterrichtet haben. Jetzt übernehmen wir erneut die Aufgabe, Frauen in unserer Kirche und in anderen Kirchen und Religionen stark zu machen. Und das gibt uns die Kraft, Salz und Licht in unserer Kultur zu sein. Es macht unser Predigen glaubhaft. Wir sind nicht schwach oder stehen als eine Minorität am Rande, wir haben vielmehr die wichtige Aufgabe, die Gesellschaft, in der wir leben, zu gestalten. Und die Frage, welchen Platz Frauen dabei einnehmen, ist auch in anderen Kirchen und Religionen virulent.

Frauenordination als ein Teil der Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit ist an vielen Orten noch immer ein umstrittenes Thema. Welche Reaktionen und mögliche Veränderungen hinsichtlich dieser historischen Entscheidung der NESSL erwarten Sie in Ihrem Umfeld?
Kassab: Es ist schon schwer, zu sehen, wie Menschenrechtsorganisationen bei uns mit geradezu christlichen Argumenten für Gerechtigkeit eintreten, die Kirche aber dazu schweigt. Wir glauben, dass Frauenordination biblisch begründet ist und dass ihre praktische Umsetzung zeigt, was es heißt, Christi Liebe als der eine Leib Christi zu leben. Es ist ein Schritt, Gerechtigkeit in unserem Lehren zu proklamieren und es inspiriert andere Menschenrechtsbewegungen.

Es ist auch klar, dass dieser Schritt nicht überall auf Akzeptanz stoßen wird. Aber jetzt ist das zu einem nationalen Thema geworden, das in den Medien diskutiert wird. Als Kirche vertrauen wir darauf, dass Gott uns gebrauchen will, um falsche Ansichten über Frauen abzuschaffen.

Ich gehöre einem Netzwerk von Christinnen und Muslimas an; auch hier diskutieren wir den  Kampf um die Rolle der Frau. Vielleicht werden wir am Ende überrascht sein, dass wir viel stärker akzeptiert sind, als wir geglaubt haben. Wir sind aufgerufen, ein Licht für andere zu sein und die Kraft dieses Lichtes entsteht innerhalb der Kirche und nicht dadurch, wie andere auf uns schauen. Wir verstehen, dass jede Kirche und Religion ihren eigenen Weg gehen muss, aber es ist höchste Zeit, Frauen darin zu bestärken, als Töchter Gottes zu leben und nicht als Bürgerinnen zweiter Klasse. Und wir glauben, dass Gottes Geist uns auf diesem Weg begleitet.


4. April 2017