Worte, die den Glauben nähren

Magdalene L. Frettlöh, Worte sind Lebensmittel

Eine Rezension

Machtwort – Schriftwort – Gotteswort
Eine Vielfalt von Formen und Themen begegnet uns in dem neuen Buch von Magdalene L. Frettlöh: Bibelarbeiten, Predigten, Vorträge, Zeitschriftenartikel und Reden – Auftrags-, Gelegenheits- und Gebrauchstexte aus sieben Jahren (2000-2007).
"Machtwort – Schriftwort – Gotteswort" sind die ersten vier Texte überschrieben und damit einleitende Worte zu allen folgenden. Die Bibel bringt die Autorin ins Gespräch – in dem Wissen, wie sehr wir ihrer bedürfen, in der Erkenntnis, dass Bibelwort und Gotteswort nicht identisch sind, und in dem Vertrauen darauf, dass Gottes Wort sich selbst durchsetzen wird: "lebendig und kräftig und schärfer".
Auf ihrem Weg, das Wort Gottes wahrzunehmen, hilft Frettlöh das dichterische Wort – von Hilde Domin, Elazar Benyoëtz, Bertolt Brecht u.a. "Ein Wort gibt das andere: das ist die große Gabe", so Benyoëtz und so gibt auch ein Wort das andere im Miteinander von rabbinischer Tradition, zeitgenössischer Philosophie, systematisch- und biblisch-theologischem Nachdenken der Autorin. Da gibt es viel zu entdecken im Detail. Zwei Appetithappen:

  • Warum beginnt die Bibel mit "Bet", dem zweiten Buchstaben im hebräischen Alphabet und nicht mit "Alef", dem ersten? Die Rabbinen erklären im Midrasch Genesis rabba, die Bibel beginne mit "Bet", wie das Wort "beracha", Segen. "Alef" hingegen sei der erste Buchstabe des hebräischen Wortes "arira", Fluch. Dazu Frettlöh: "‚Segen‘ und nicht ‚Fluch‘ steht am Beginn der Bibel. Aus Gottes Segenswillen entspringt die Geschichte der Schöpfung, und Gottes Segenswirken verdankt sie ihre Erhaltung."
  • Im Nachdenken über "Gott im Wort" das Wort eines Philosophen: "Dass Gott im Wort ist, auch und gerade im Bibelwort – das ist und bleibt, wo es wahr wird, ein Ereignis. Ein Ereignis aber ist, so hat es uns Jacques Derrida gelehrt, eine ‚unmögliche Möglichkeit‘. Es herbeizuführen, liegt nicht in unserer Macht."

Aus reformierter Tradition geschöpft
Eine ganz besondere Stärkung finden Reformierte in den "Lebensmitteln": die der Erinnerung. In ansprechender Form gedruckt sind hier die Bibelarbeit Frettlöhs auf der Hauptversammlung des Reformierten Bundes 2007: "Von der Macht des GottesWortes im WortWechsel mit dem Teufel" und ihr Vortrag auf der Zusammenkunft 2000 in Dresden: "Trost und Trostlosigkeit im Heidelberger Katechismus".
"Typisch reformiert" heißt heute wohl auch, weiterhin und immer wieder von neuem Karl Barth zu lesen. Dazu finden sich in Frettlöhs Texten viele Anregungen, z.B. in der Auslegung des Heidelberger Katechismus: "‘Sorge‘ – so Karl Barth – ‚ist der umfassende Ausdruck für das Dasein eines ungetrösteten Menschen‘".
In TrostWorten des Heidelberger Katechismus spiegelt sich Magdalenes L. Frettlöhs eigenes theologisches Sprechen. Beim Lesen ist sie förmlich zu spüren die "herzliche Freude in Gott durch Jesus Christus", "die Lust und Liebe, nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben" (Heidelberger Katechismus 90).

Grund legende Worte
Die "kirchlich-theologische Alltagskost" ist eine biblisch-theologische Betrachtung der Grund legenden Worte: Gerechtigkeit – Frieden (Schalom) – Vergebung – Versöhnung – Segen – Trost – Hoffnung im Angesicht des Todes.
Aus dem reichhaltigen Angebot sei noch ein wenig zitiert – Achtung: Die Auswahl ist begrenzt, sie obliegt dem persönlichen Geschmack der Rezensentin.
Fluchen und Segnen
Magdalene M. Frettlöh gibt zu bedenken, "Ob wir uns nicht überfordern und eine buchstäblich not-wendige Zeit der Trauer und Wut, der Klage, des Schmerzes und des Hasses überspringen, statt diesen Raum und Worte zu geben", wenn wir umgehend handeln gemäß der Mahnung des Apostel Paulus (Römer 12,14): "Segnet, die euch verfolgen; segnet und fluchet nicht!" – "So wie gegen einen nicht selten postulierten Vergebungszwang zumindest eine ‚Langsamkeit der Vergebung‘ [Ulrike Bail] einzuräumen ist", sei zu bedenken, "ob wir nicht auch die Stärke, segnend dem Fluch entgegentreten zu können, erst gewinnen müssen, anstatt sie jederzeit abrufbar zu haben."
Vergebung
Vergebung ist "das Ereignis, in dem Gott und Menschen so auf unsere Vergangenheit zurückkommen, dass die Altlasten, die wir mit uns herumschleppen, einen Neubeginn nicht länger verhindern. Wer vergibt, gibt einen Neuanfang."
Frieden und Gerechtigkeit
"In Schalom leben Menschen, befriedet sind sie, wenn ihnen Genugtuung widerfahren ist und sie darum Genüge haben, Leben zur Genüge! Nicht ein beschwichtigendes, vertröstendes ‚Gib dich zufrieden!‘, sondern ein: ‚Lass dir genug tun, damit du genug hast!‘ Das Tun des Gerechten – das heißt nicht zuletzt: einander Genugtuung zukommen lassen. Nur wer Genüge hat, kann auch vergnügt sein! Dieses Wortspiel unterstreicht den unauflösbaren Zusammenhang von Ethik und Ästhetik."

Theologie und Sprache Magdalene L. Frettlöhs schaffen aus diesem Zusammenhang einen Dreiklang von Theologie, Ethik und Ästhetik: Das als wahr Erkannte vermitteln ihre Worte mit einer Anmut, die berührt – bis an das Herz hinan.

Magdalene L. Frettlöh ist Rektorin des Kirchlichen Fernunterrichts der Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland in Magdeburg und Privatdozentin für Systematische Theologie an der Evang.-theol. Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.
Am 19. Oktober 2007 wurde Magdalene L. Frettlöh der diesjährige Förderpreis der Marga Bührig-Stiftung verliehen.


Barbara Schenck