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Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1886-1968)
Karl Barth wurde am 10. Mai 1886 als Sohn des Theologieprofessors Fritz Barth (1856-1912) und seiner Frau Anna, geb. Sartorius (1863-1938) in Basel geboren. 1889 zog die Familie nach Bern um. Dort verbrachte er seine Jugendjahre, in die auch von 1901 bis 1902 der Konfirmandenunterricht bei Pfarrer Robert Aeschbacher und von 1896 bis 1904 der Besuch des Freien Gymnasiums fiel. Von 1904 bis 1908 studierte Barth evangelische Theologie in Bern, Berlin, Tübingen und Marburg, war 1908/09 Redaktionsgehilfe bei der in Marburger scheinenden „ChristlichenWelt“ und übernahm von 1909 bis 1911 eine Hilfspredigerstelle in Genf.
Von 1911 bis 1921 wirkte Barth dann als Pfarrer in der aargauischen Gemeinde Safenwil. Aus der 1913 mit seiner früheren Konfirmandin Nelly Hoffmann (1893-1976) geschlossenen Ehe gingen fünf Kinder hervor: Franziska (1914-1994), Markus (1915-1994), Christoph (1917-1986), Matthias (1921- 1941) und Hans Jakob (1925-1984). Erschüttert durch das Versagen der damals herrschenden „liberalenTheologie“ angesichts der Herausforderungen jener Zeit exponierte sich Barth einerseits politisch, indem er 1915 in die Sozialdemokratische Partei der Schweiz eintrat und die Arbeiter seiner Kirchengemeinde zu gewerkschaftlicher Solidarität anhielt. Andererseits ging es ihm um eine fundamentale Neuherausarbeitung des Wesens von Theologie und Kirche.
Als Frucht dieser Bemühungen erschien 1919 und, völlig überarbeitet, nochmals 1922 „Der Römerbrief“, ein Kommentar zu jener neutestamentlichen Schrift des Paulus, an der er die Bibel ganz neu zu lesen lernte. Die große Wirkung dieses Buches bis in unsere Gegenwart hinein ist unter anderem daran abzulesen, daß es 14 Auflagen erreicht hat. Mit dem Erscheinen des „Römerbriefes“ begann die akademische Lehrtätigkeit Karl Barths.Sie war durch eine Dynamik gekennzeichnet, die sowohl in der Person als auch in den überstürzenden Ereignissen unseres Jahrhunderts begründet war. Von 1921 bis 1925 ging Barth als Honorarprofessor für reformierte Theologie nach Göttingen.
In diese Zeit fiel auch der Beginn zahlreicher ihm zuteil werdender Ehrungen: Dr. theol. h.c. der Universität Münster 1922, Glasgow und Ehrenprofessor Sárospatak 1930, Utrecht 1936, St. Andrews 1937, Oxford 1938, Entzug 1939 und Neuverleihung 1946 des Dr. h.c. von Münster, Budapest 1954, Edingburgh 1956, Straßburg 1959, Chicago 1962, Sorbonne/Paris 1963.
Von 1922 bis 1933 war er als Mitbegründer und Mitarbeiter der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ zusammen mit Emil Brunner, Friedrich Gogarten und Rudolf Bultmann, die später ihre eigenen Wege gingen, und dem getreuen Freund Eduard Thurneysen der Hauptvertreter der um diese Zeitschrift sich versammelnden „Dialektischen Theologie“. Von 1925 bis 1930 war Barth Professor für Dogmatik und neutestamentliche Exegese in Münster, sodann von 1930 bis 1935 Professor für systematische Theologie in Bonn. Seit 1929 begleitete ihn seine Mitarbeiterin Charlotte von Kirschbaum (1899-1975), die ihr Leben ganz in den Dienst der Arbeit an dieser Theologie stellte.
1931 trat er in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein. Barths Hauptwerk „Die Kirchliche Dogmatik“ nahm 1932 ihren Anfang mit dem Erscheinen des erstenTeilbandes (KD I/1), der zusammen mit dem zweiten (KD I/2) von1938 als „Die Lehre vom Wort Gottes“ die Prolegommen abildet. Dieses trotz seiner über 9000 Seiten unvollendet gebliebene Werk ging als die bedeutendste systematisch-theologische Leistung des 20. Jahrhunderts in die Geschichte ein. Auf der Arbeit an diesem Werk lag in den folgenden Jahrzehnten Barths Hauptaugenmerk, so daß zwei Bände Gotteslehre (KD II/1 1940, II/2 1942), vier Bände Schöpfungslehre (KD III/1 1945, III/2 1948, III/3 1950, III/4 1951) und vier Bände Versöhnungslehre (KD IV/1 1953, IV/2 1955, IV/3 1-2 1959, IV/4 (Fragment) 1967) erscheinen. Barths wache Zeitgenossenschaft spiegelt sich besonders deutlich in der für den Weg der Bekennenden Kirche in Deutschland grundlegenden Schrift „Theologische Existenz heute!“ von 1933 und in der hauptsächlich aus seiner Feder stammenden „Theologischen Erklärung“ von Barmen 1934 wider.
1935 wurde er aufgrund der Verweigerung des bedingungslosen Eides auf die Person des „Führers“ von der Bonner Universität entlassen. Von 1935 bis 1962 setzte Barth seine Lehrtätigkeit als Professor für systematische Theologie in Basel fort. Der von Anfang an maßgebend am Widerstand gegen den Nationalsozialismus Beteiligte blieb auch von Basel aus mit dieser Thematik beschäftigt - er beteiligte sich 1940 als Soldat im bewaffneten Hilfsdienst am nationalen Widerstand der Schweiz gegen Hitler - und mit der Bekennenden Kirche in Deutschland in enger Verbindung.
Auch in der Nachkriegszeit bewahrte sich Barth seine eigenständige Haltung. Dies zeigte sich sowohl in seiner deutlichen Absage an jeden Revanchismus gegenüber den Deutschen als auch an seiner Haltung im Ost-West-Konflikt: Hier ließ er sich weder zum Kreuzzug gegen den Kommunismus gewinnen noch vor den Karren einer antiamerikanisch gefärbten Weltfriedensbewegung spannen. Damit stieß er hier wie dort auf viel Unverständnis und Ablehnung. Barths Arbeit an der Erneuerung der Theologie und als Mahner der Kirche, ihrem Auftrag treu zu bleiben, wurde dadurch jedoch nicht geschmälert.
Eine gelegentliche Reise- und Vortragstätigkeit in Ost und West, oft verbunden mit der Entgegennahme von Auszeichnungen aller Art, war unter anderem ein Beweis dafür: So reiste er 1936 und 1948 nach Ungarn, folgte 1946 und 1947 dem Ruf auf eine Gastprofessur nach Bonn und besuchte 1962 die Vereinigten Staaten von Amerika; 1952 wurde ihm der Britische Verdienstorden „For Service in the Cause of Freedom“, 1963 der Sonning-Preis für besondere Verdienste um die europäische Kultur in Kopenhagen und 1968 der Sigmund-Freud-Preis der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt verliehen, nachdem er zuvor zum „Membre Accocie de l’Academie des Sciences Morales et Politiques del’Institut de France“ und zum Ehrensenator der Universität Bonn ernannt worden war.
Neben seiner akademischen Tätigkeit lag Barth das Predigen stets am Herzen. Seit 1954 tat er es fast ausschließlich in der Basler Strafanstalt. Im Jahr 1956 nahm er das Mozart-Jubiläum zum Anlaß, seine tiefe Liebe zu der Musik dieses Komponisten wiederholt auszusprechen. Mit der im Wintersemester1961/62 gehaltenen Vorlesung „Einführung in die evangelische Theologie“ verließ er das universitäre Amt. In den Folgejahren empfing er zahlreiche Gäste und Besuchergruppen aus der ganzen Welt in Basel, die ihn zu Gesprächen aufsuchten, und nahm von 1966 bis 1968 Seminarübungen an der Basler Theologischen Fakultät wieder auf.
Obwohl Barth seine reformierte Herkunft und Haltung zu keiner Zeit verleugnete, wurde die ökumenische Bedeutung seines Werkes erkannt. Dies ist unter anderem auch daran abzulesen, daß ihm an der ersten ökumenischen Weltkirchenkonferenz 1948 in Amsterdam das einleitende Hauptreferat „Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan“ übertragen wurde. Steigende Beachtung wurde ihm auch innerhalb der römisch-katholischen Kirche zuteil, deren sichtbaren Höhepunkt 1966 der Besuch des Vatikans und die Begegnung mit Papst Paul VI. in Rom darstellte.
Am 10. Dezember 1968 starb Karl Barth im Alter von 82 Jahren in seinem Haus in Basel. Die Gesellschaft möchte zu eigenem Nachdenken des von Barth Gedachten einladen und Mut machen, mit Barth neu zu den Texten der Bibel zu greifen, die unseren Alltag heilsam unterbrechen, indem sie uns alle an den einen Jesus Christus verweisen, der in Kreuz und Auferstehung uns Menschen näher kommt und näher ist, als jeder von uns sich selber nahe zu kommen und nahe zu sein vermag. Durch eine Mitgliedschaft in der Karl Barth-Gesellschaft unterstützen Sie deren Ziele. Als Mitglied unserer Gesellschaft erhalten Sie regelmäßig Berichte über unsere Tätigkeit und Einladungen zu unseren Veranstaltungen sowie Informationen über den jeweiligen Stand der Gesamtausgabe und die Subskriptionsbedingungen.
Weiterführende Informationen:
Calvin und die Hexenverfolgung
von Achim Detmers
Praetorius war einer der ersten Kritiker der Hexenprozesse und soll sich in seinem Werk »Gründlicher Bericht Von Zauberey vnd Zauberern« »vehement gegen Calvins [..] Aufruf zur Verbrennung der Hexen« gewandt haben. (1) Diese Behauptung ist insofern von Bedeutung, als Pfarrer Praetorius zu den entschiedenen Anhängern Calvins zählte. Aus einem Vergleich der beiden können folglich wichtige Hinweise gezogen werden, wie Calvins Aussagen zur Hexenthematik einzuschätzen sind.
Betrachtet man die Behauptung genauer, Praetorius habe sich von Calvins Äußerungen distanziert, so begegnet hier gleich die erste Überraschung. Interessanterweise wird Calvin in dem genannten Werk des Praetorius von 1613 nur ein einziges Mal erwähnt – und zwar durchweg positiv. Praetorius beruft sich hier nämlich auf Calvins Auslegung von Gen 6,1f. Darin kritisiert Calvin die aberwitzige Auslegung ›gelehrter Männer‹, die in Gen 6 einen Beischlaf von Engeln mit Frauen hineinfantasieren. (2) Unter Berufung auf Calvin widerlegt Praetorius, dass Hexen mit dem Teufel Beischlaf haben können. Und zugleich kritisiert er (mit Calvin) Theologen, die solchen Vorstellungen Vorschub leisteten. Calvin ist für den reformierten Pfarrer Praetorius also eine Autorität, die er im Kampf gegen Hexenverfolgungen auf seiner Seite sieht. Kritik an anderslautenden Äußerungen Calvins sind in diesem wichtigen Werk von Praetorius an keiner Stelle zu finden.
Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, weil sich Calvin in seinem Riesenwerk nur an wenigen Stellen überhaupt zu dem Thema ›Zauberei/Wahrsagerei/Beschwörungen« äußert (3). Und er tut dies auch nur im Zusammenhang mit seinen Schriftauslegungen, wenn er in der Bibel auf Phänomene von Zauberei usw. stößt:
a. In seiner Auslegung zu Dtn 18,10f z. B. kommentiert Calvin Gottes Mahnung an das Volk Israel, sich nicht an den magischen Praktiken der Kanaaniter zu beteiligen. Calvin argumentiert, dass es solche Praktiken offenbar gebe, sonst würde sie Gott ja nicht verbieten. Aber, so Calvin, Schadenszauber, Trugbilder und scheinbare Außerkraftsetzung der Naturgesetze geschehen nicht aufgrund von teuflischen Praktiken, sondern unter Gottes Zulassung, um die Ungläubigen in die Irre zu führen. Und erstaunlicherweise ist es Praetorius, der mit exakt dieser Argumentation knapp 40 Jahre später dem Hexenglauben zu Leibe rückt. Praetorius argumentiert nämlich genau wie Calvin, dass Gott allmächtig sei; nur er allein könne in die Gesetze der Natur eingreifen. Der Teufel und angebliche Zauberer seien an die Naturgesetze gebunden. Nur auf Gottes Befehl hin, könne der Teufel überhaupt etwas bewirken. Teuflische Zauberei an sich, so Praetorius, existiere also gar nicht. Phänomene wie Hexenflug, Hexentanz und Teufelsbuhlschaft seien lediglich vom Teufel erzeugte Fantasien. (4)
b. Eine weitere Passage, in der Calvin kurz auf Zauberei zu sprechen kommt, ist seine Auslegung von Ex. 22,18 und Lev 20,6.27. Dort kommentiert er die alttestamentliche Forderung der Todesstrafe für Zauberinnen und die Steinigungsstrafe für Wahrsager und Zeichendeuter. Calvin bezeichnet es als »nicht verwunderlich«, dass hier die Todesstrafe gefordert werde, weil solche Praktiken gefährlich seien; ihnen lägen Selbstüberhebung und Abfall vom wahren Glauben zugrunde. Deshalb fordert Calvin in einer Predigt über Dtn 18,10-15, dass die weltliche Justiz Zauberei und Hexerei ebenso wenig dulden dürfe wie Diebstahl und Mord. (5) Man könnte jetzt vermuten, dass Praetorius hier Calvin grundsätzlich widerspricht. Doch genau wie Calvin stimmt er dem alttestamentlichen Urteil über Zauberei zu. Zauberei und Teufelsdienst seien nämlich Abfall von Gott und würden mit ewiger Verdammnis bestraft; hier habe das Alte Testament ewige Gültigkeit. Im Unterschied zu Calvin beantwortet Praetorius aber die Frage differenziert, ob die Bestrafung durch Gott auch die Todesstrafe durch die weltliche Justiz rechtfertigt. Praetorius kommt hier zu dem Urteil, dass das nicht für alle Arten von Zauberei gelte, sondern nur für Giftmörder. Bei ›spirituellen‹ Verbrechen könne der Sünder ja durch Reue und Buße zu Gott zurückkehren. Grundsätzlich aber sei Zauberei durch die Justiz zu strafen, aber im Falle der Umkehr nicht mit der Todesstrafe, sondern mit Geldstrafe, Prügelstrafe oder Pranger. Die Unbußfertigen, die niemanden beschädigt hätten, sollten geprügelt und des Landes verwiesen werden. (6)
Der Unterschied zwischen Calvin und Praetorius ist also gar nicht so groß und grundsätzlich wie wieder oben behauptet. Im Gegenteil, in zentralen Fragen erweist sich Praetorius als Schüler Calvins. Gleichwohl wird in der Wanderausstellung über Praetorius (7) eine Tafel gezeigt, die Calvin als gnadenlosen Ankläger und Verfolger von Hexen darstellt. Auf der Tafel wird eine dürftige Notiz aus den Genfer Ratsprotokollen als zentraler Beleg für diese Auffassung zitiert. Diese Belegstelle und seine fragwürdige Interpretation geht zurück auf das Werk des Zürcher Pfarrers und Psychoanalytikers Oskar Pfister (1873-1956). Er veröffentlichte 1947 eine kleine Schrift zum Hexenprozess von Peney. (8) Dieses Werk des Hobbyhistorikers Pfister ist leider so fehlerhaft, dass es gleich nach Erscheinen zahlreiche Kritik erfuhr, (9) In der seriösen Calvinforschung spielt das Werk deshalb heute kaum eine Rolle. Denn Pfister setzt in seinem Buch voraus, dass Calvin in Genf ein Terrorregime errichtet habe und beliebig auf die Rechtsprechung des Genfer Rates Einfluss nehmen konnte. Eine Auffassung, die spätestens seit dem Calvin-Jahr als widerlegt gelten kann. Zudem zeichnet der Psychoanalytiker Pfister ein überaus düsteres Bild Calvins. Er sei von »pathologischer Angst« und neurotischen »Zwangsvorstellungen« getrieben, bei ihm würden kulturell längst überwundene primitive Triebe hervorbrechen, insb. »Sadismus und Masochismus« (10). Mit diesen Zuschreibungen war es Pfister kaum möglich, Calvins Rolle beim Hexer- und Hexenprozess von Peney angemessen zu beurteilen.
Doch nun zu den Vorwürfen im Einzelnen: 1542 bis 1545 wütete in Genf die Pest. Die Pest versetzte die Menschen in Panik. Schuldige wurden gesucht und bald gefunden. Auf dem Höhepunkt der Pest wurden 34 Personen mithilfe der Folter ›überführt‹, Türschlösser mit Pestgift bestrichen zu haben. Sie wurden 1545 ohne jede Mitwirkung Calvins wegen Pestverbreitung zum Tode verurteilt. (11). Das Abebben der Seuche führte dann zu einer Beruhigung der Situation. Doch im Oktober 1545 wurde der Burgvogt von Peney vom Genfer Rat mit der Durchführung eines Prozesses gegen sechs der Zauberei angeklagte Personen beauftragt. Bei der angewandten Folter wurden Geständnisse schwarzer und weißer Magie erpresst. Ein Angeklagter wurde dabei so schwer verletzt, dass er kurzerhand zum Tode verurteilt wurde, um die Folterekzesse zu vertuschen. Dieses Fehlverhalten führte eventuell dazu, dass der Genfer Rat von weiteren Todesurteilen absah, zumal die Beschuldigten keine eindeutigen Geständnisse lieferten. Die Beschuldigten wurden freigelassen bzw. verbannt. (12)
In diesem Augenblick betritt nun Calvin erstmals die Bühne. Er erscheint aus nicht bekannten Gründen am 19. November 1545 vor dem Genfer Rat. Bei ihm ist der Pfarrer von Peney Jaques Bernard, der zu den eifrigsten Verfolgern von Zauberei und Hexerei gehörte und der seine Gemeinde von Zauberern und Ketzern unterwandert sah. (13) Die betreffende Notiz aus dem Ratsprotokoll, die auch auf der Ausstellungstafel zitiert ist, besagt nun Folgendes:
»Dazu haben Herr Calvin, Pfarrer in Genf, und Meister Jaques Bernard, Pfarrer im Gebiet von Peney, ausgeführt, wie man sich bereits sorgfältig bemüht habe, die Rechtsprechung bei einigen Missetätern des genannten Gebietes anzuwenden. Aber es gebe noch viele andere. Sie ersuchen, den Beamten des genannten Gebietes zu befehlen, dass sie eine gesetzliche Untersuchung gegen solche Häretiker (bzw. Zauberer) anstellen, um die Brut des genannten Gebietes auszumerzen. In Bezug hierauf wird angeordnet, dass der Burgvogt von Peney diese Angelegenheiten weiter nachverfolgen und brauchbare Informationen beibringen solle.« (14)
Dieser kurzen Protokollnotiz ist also nicht genau zu entnehmen, was Calvin und was Pfarrer Bernard dem Rat jeweils vorgetragen haben. Auch ist das Vorgetragene keineswegs so empörend, wie Oskar Pfister in seinem Werk glauben machen will. Calvin und/oder Bernard ersuchen den Rat, eine gesetzliche Untersuchung anzustellen mit dem Ziel, in Peney Ruhe einkehren zu lassen im Blick auf die Verunsicherung durch Zauberei und Häresie. Ob das Wort »extirper«, also »ausmerzen« bei der Ratssitzung von Calvin gebraucht wurde oder von Pfarrer Bernard oder in der Diskussion gefallen ist, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen und somit auch nicht gegen Calvin in Anschlag bringen.
Feststeht auf jeden Fall, dass die Beratung im Genfer Rat zur Folge hatte, dass in Peney erneut Untersuchungen angestellt wurden. Der schon einmal angeklagte Amyed Darnex wurde daraufhin erneut vernommen. Unter Folter gestand er zunächst, sich dem Teufel verschrieben zu haben. Dieses Eingeständnis war aber nach damals geltendem Recht nur gerichtsverwertbar, wenn es ohne Folter wiederholt wurde. Darnex beteuerte jedoch nachdrücklich seine Unschuld, sodass der Genfer Rat sich schließlich gezwungen sah, das Verfahren einzustellen und Darnex aus dem Gebiet von Peney zu verbannen. (15)
Calvins angebliches ›Eingreifen‹ führte also keineswegs zu einer Welle von Hexenverfolgungen, wie Pfister suggeriert, sondern zu einer nach damaligen Maßstäben rechtskräftigen Untersuchung mit dem Ergebnis, dass keine Hinrichtungen verhängt wurden und es in Genf zu Calvins Lebzeiten zu keiner weiteren bemerkenswerten Hexenverfolgung gekommen ist. (16)
Anmerkungen/Literatur:
(1) H.Hegeler in: http://www.anton-praetorius.de/opfer/hexenjaeger.htm#Calvin.
(2) A.Praetorius, Von Zauberey vnd Zauberern Gründlicher Bericht, Heidelberg 1613, 62.
(3) Eine Übersicht gibt P.Jensen, Calvin and Witchcraft, in: The Reformed Theological Review 34 (1975), 76-86.
(4) Ähnlich beurteilt Calvin übrigens die Erscheinung des verstorbenen Samuel, dessen Geist auf Wunsch Sauls von der Frau in Endor heraufbeschworen wurde (1. Sam 28). Calvin urteilt, dass dieser Geist nicht Samuel gewesen sein könne, sondern nur eine Illusion (»spectrum«) des Teufels. Vgl. CO 30 (Hom. zu 1. Sam 28). Zu Praetorius vgl. Jürgen Michael Schmidt, Praetorius, Antonius. Aus: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, hrsg. v. Gudrun Gersmann, Katrin Moeller u. Jürgen-Michael Schmidt, in: historicum.net, URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/1663/ 22.4.2013. Vgl. Jörg Haustein, Martin Luthers Stellung zum Zauber- und Hexenwesen, Stuttgart u.a. 1990, 150-152, der bei Calvin »rationalistische Tendenzen« ausmacht, »die eine gewisse Vorarbeit leistete für eine physikalisch-rationalistische (…) Überwindung des Hexenwahns« (151f).
(5) Ähnlich äußert sich Calvin in einer Predigt zu 1. Sam 28. Vgl. Ioannis Calvini Opera 30, 632.
(6) Vgl. Jürgen Michael Schmidt, Praetorius, a.a.O. Auch im Genfer Konsistorium gab es in zahlreichen Beispielen die Praxis, bei dem Vorwurf der Zauberei abgestuft zu urteilen. Diese Abstufungen reichen von der einfachen Ermahnung bis zum Ausschluss vom Abendmahl. Lediglich schwere Vergehen wurden unmittelbar an den Genfer Rat verwiesen. Vgl. E.Pfisterer, Calvins Wirken in Genf, Neukirchen 1957, 146; R.M.Kingdon, Eine neue Sicht Calvins im Lichte der Protokolle des Genfer Konsistoriums, in: Reformierte Kirchenzeitung 138 (1997), 567-573.
(7) »Kämpfer gegen Hexenprozesse und Folter«, 2013 http://www.anton-praetorius.de/downloads/Bethel%20Praetorius%20Ausstellung%202013.pdf)
(8) Oskar Pfister: Calvins Eingreifen in die Hexer- & Hexenprozesse von Peney 1545 nach seiner Bedeutung für Geschichte & Gegenwart, Zürich 1947.
(9) Z. B. F.Büsser in: Zwingliana Bd 8,9 (1948), 555-558; ders. in: Theologische Zeitschrift 4,4 (1948), 310-313; E.Pfisterer, Calvins Wirken in Genf, Neukirchen 1957, 143-150.
(10) A.a.O., 101f.
(11) Calvin schenkte den Vorwürfen der Pestverbreitung übrigens Glauben: »Denn vor Kurzem wurde eine Verschwörung von Männern und Weibern entdeckt, die seit drei Jahren die Pest in der Stadt verbreiteten, durch, ich weiß nicht, welche Giftmischerei. Obwohl fünfzehn Weiber verbrannt, einige Männer noch grausamer hingerichtet worden sind, einige im Kerker selbst den Tod suchten, noch fünfundzwanzig gefangen gehalten werden, hören sie doch nicht auf, jeden Tag die Haustürschlösser mit ihren Salben zu bestreichen. Sieh, in welcher Gefahr wir schweben. Gott hat bisher unser Haus unversehrt erhalten, obwohl es schon mehrmals angegriffen wurde. Gut ist nur, dass wir uns in seinem Schutze wissen.« (Calvin an Myconius am 27.3.1545). Allerdings ist Calvin zugleich bemüht um Milderung der Strafen und des Vorgehens beim Prozess gegen die ›Pestverbreiter‹. Vgl. F.Büsser, a.a., 556.
(12) Vgl. F.Büsser in: Zwingliana Bd 8,9 (1948), 555f; O.Pfister, a.a.O., 25-33.
(13) K.Baschwitz, Hexen und Hexenprozesse. Geschichte eines Massenwahns, München 1966, 264.
(14) »Sur ce que Monsieur Calvin, ministre en Genève, et maistre Jaque Bernard, ministre en la terre de Pigney, hont exposé comment desjà l´on a faict diligence de faire justice d´aulchungs delinquans de lad. terre, mes que encore il en a beaucopt d´aultres, requerant commander aux officiers de ladite terre de fère légitime inquisition contre tel hereges affin de extirper telle rasse de ladite terre, ordonné que soyt commandé au chastellain de Pigney de suyvre apprès tel affères et qui en pregne bonne information.« (zitiert nach O.Pfister, a.a.O., 33).
(15) K.Baschwitz, a.a.O., 262f.
(16) Vgl. E.W.Monter, Witchcraft in Geneva, 1537-1662, in: The journal of modern history 43/2 (1971), 179-204.
Dr. Achim Detmers, Studienleiter des Kirchlichen Fernunterrichts (KFU), April 2013