Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1768 - 1834)
Über den Kirchenvater des 19. Jahrhunderts schreibt www.calvin.de: „Er prägte das 19. Jahrhundert der Theologie und öffnete den Weg in die Moderne: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher wird als Sohn eines reformierten Feldpredigers geboren und erhält zunächst eine theologische Ausbildung im Pädagogium der Herrnhuter Brüdergemeine. Mit 18 Jahren distanziert er sich von dieser Form pietistischer Frömmigkeit und studiert Theologie in Halle. Danach ist Schleiermacher als Hauslehrer tätig und beschäftigt sich ausgiebig mit der Philosophie Immanuel Kants.
1799 veröffentlicht er "Über die Religion – Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern". Von 1810 bis zu seinem Tode 1834 ist Schleiermacher Theologieprofessor in Berlin. Sein Hauptwerk ist die "Glaubenslehre" (1830/31).
Der "Kirchenvater des 19. Jahrhunderts" will den christlichen Glauben mit der Innerlichkeit und Freiheit des Subjekts aussöhnen und erfüllen und somit die Religion auf das Gefühl "schlechthinniger" Abhängigkeit zurückführen. Für Schleiermacher gehört Religiosität genauso zum Menschen wie das rationale Denken und das moralische Handeln und ist somit beiden als gleichwertig zu betrachten. Schleiermacher gilt als Ahnherr der liberalen Theologie.“
Reformierter Prediger, Professor und „Anwalt der Union“
Schleiermacher stammte aus einem reformierten Elternhaus und blieb selbst Zeit seines Lebens als reformierter Theologe tätig. Er war:
- 1796 – 1802 reformierter Prediger an der Berliner Charité,
- 1802 – 1804 Pfarrer der reformierten Gemeinde in Stolp, Pommern,
- 1804 – 1806 außerordentlicher Professor und reformierter Universitätsprediger in Halle
- seit 1809 reformierter Prediger an der Dreifaltigkeitskirche und seit 1810 reformierter Professor an der neuen Universität in Berlin.
Als „ein entschiedener Anwalt der Union von lutherischen und reformierten Gemeinden“ (H.-J. Birkner) begrüßte Schleiermacher die im Reformationsjahr 1817 vollzogene Union in Preußen. Das hinderte ihn aber nicht daran, sich in seiner Reformationsrede an der Universität als jemand vorzustellen, „der mehr der Lehre Zwinglis als derjenigen Luthers verpflichtet sei“ (Rohls, s.u., 59). Die Union sollte die Differenzen zwischen lutherischen und reformierten Bekenntnissen nicht aufheben, wohl aber die kirchentrennende Bedeutung dieser Unterschiede. Mit dem in reformierter Tradition wurzelnden Zustimmung zu einem Bekenntnis unter Vorbehalt der besseren Einsicht in die Heilige Schrift unterschrieb Schleiermacher bei seiner Ordination das reformierte „Privatbekenntnis“ des Kurfürsten Sigismund (vgl. Rohls, 59).
Auch bei der Frage nach der Kirchenverfassung vertrat Schleiermacher eine reformierte Position, diesmal Calvin folgend: Er hielt die presbyterial-synodale Kirchenverfassung für die beste menschenmögliche Form von Kichenleitung (vgl. Rohls, 66-70).
Eine der klassisch reformierten Lehraussagen zur Erwählung / Prädestination betrachtete Schleiermacher kritisch, wog ab und behielt das Gute: Die doppelte Prädestination von Erwählung auf der einen und Verwerfung auf der anderen Seite, in deren Denken die „Uebersehenen oder Verworfenen dann auf ewig verdammt“ und „aller Seligkeit beraubt“ werden, lehnte Schleichermacher als „’horrible’ des kalvinischen Dekrets“ ab und verwandelte die Unterscheidung zwischen den gläubig und den ungläubig Sterbenden in den „Unterschied zwischen der frühen und der späten Aufnahme in das Reich Gottes, die auch postmortal erfolgen kann“ (Rohls, 74). Indem Schleichermacher „von Calvin den Gedanken der unbedingten göttlichen Vorherbestimmung übernahm, wurde die Annahme des Heilsuniversalismus zu der der Allerlösung radikalisiert.“ (Rohls, 75).
Als Resümee seiner Untersuchung räumt Rohls ein, Schleiermacher habe „den Gedanken der schlechthinnigen Abhängigkeit aller Dinge von Gott und von Gott als schlechthinniger Ursächlichkeit“ nicht direkt Zwingli oder Calvin entnommen, aber: „Schleiermachers Prädestinationslehre macht deutlich, worin sich reformiertes Erbe bereits im Ansatz seiner Dogmatik geltend macht. Der Gedanke der unbedingten göttlichen Vorherbestimmung, den er Calvin entlehnt, entspricht ja der Auffassung, dass das Wesen der Frömmigkeit darin besteht, dass wir uns unserer selbst als schlechthin abhängig bewusst sind, dass die Welt nur in der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott besteht und Gott die schlechthinnige Ursächlichkeit ist, auf die das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl zurückweist.“ (76)
Literatur:
- Hans-Joachim Birkner, Friedrich Schleiermacher (1768 – 1834), in: Theologen des Protestantismus im 19. und 20. Jahrhundert I, hrsg. von Martin Greschat, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1978, 9-21.
- Jan Rohls, Schleiermachers reformiertes Erbe, in: Reformierte Retrospektiven, hrsg. von Harm Klueting, Jan Rohls (Emder Beiträge zum reformierten Protestantismus 4), Wuppertal 2001, 53 – 77.
Blicket auf zu Ihm!
Psalm 34,6 am Himmelfahrtstag, ausgelegt von Karl Barth
Karl Barth in einer Predigt am Himmelfahrtstag 1956 in der Strafanstalt Basel:
„Blicket auf zu Ihm! Daran erinnert uns der Tag der Himmelfahrt: dass wir eingeladen und aufgefordert sind, dass es uns erlaubt und geboten ist, dass wir als Christen dazu die Freiheit haben, dass das aber auch der Gehorsam ist, der von uns als Christen erwartet ist: dass wir aufblicken zu Ihm, zu Jesus Christus […]
„Aufblicken“ allein würde es nicht tun. „Kopf hoch!“ pflegt man wohl zu einem betrübten Menschen zu sagen. Ihr mögt wohl dieses „Kopf hoch!“ auch schon gehört haben. Aber eben damit ist es so eine Sache. Da droben, über uns, als Himmel, könnte uns ja auch ein großes, hartes Spiegelbild unseres ganzen menschlichen Elends begegnen: Noch einmal das Unrecht, das Menschen uns angetan haben mögen, und das Unrecht, das wir selber Anderen angetan haben, noch einmal – Alles unendlich vergrößert und gewissermaßen verewigt – unsere große Schuld und unsere innere und äußere Lebensnot, was man das „Schicksal“ nennt, und schließlich der Tod – das alles könnte das Geheimnis da droben sein, das der Himmel! Es wäre dann so etwas wie eine finstere Wolkenwand, vielleicht auch wie eines jener Kellergewölbe wie die, in denen man in früheren Jahrhunderten die Gefangenen zu verwahren pflegte, oder gar wie ein Sargdeckel, unter dem wir lebendig begraben dalägen. Nein, lieber nicht da hinaufblicken, nicht wahr? Nein, da denkt man dann besser nicht daran, dass so etwas „über uns“ sein könnte! […]
Aufblicken zu Jesus Christus aber – das tut es! Er ist da droben. Er ist in der Mitte jenes hohen Geheimnisses. Er ist im Himmel. Wer ist Jesus Christus? Er ist der Mann, in welchem Gott seine Liebe nicht nur ausgesprochen, nicht nur an die Wand gemalt, sondern ins Werk gesetzt hat. Er ist der Held, der unser Elend, der unser und aller Menschen Unrecht, unsere Schuld und unsere Lebensnot, unser Schicksal und schließlich auch unseren Tod in göttlicher Macht auf sich genommen und überwunden hat, so dass das alles nun nicht mehr über uns, sondern unter uns – in Wahrheit zu unseren Füßen ist. Er ist der Sohn Gottes, der ein Mensch wie wir, der unser Bruder wurde, damit wir als seine Brüder mit ihm Kinder seines Vaters sein dürften, damit wir alle mit Gott verbunden und alles dessen, was Gott gehört, teilhaftig sein dürfen: teilhaftig der strengen Güte und der gütigen Strenge dieses Vaters, teilhaftig des ewigen Lebens schließlich, für das er seine Kinder bestimmt und das er ihnen zugedacht hat. […]
Zu Jesus Christus aufblicken heißt: sein Recht gelten und es dabei sein Bewenden haben lassen, daran nun einmal nicht mehr rütteln, dass er recht hat. Daran erinnert uns die Himmelfahrt: dass wir eingeladen sind, in diesem Sinn zu Ihm aufzublicken – ich brauche jetzt ein anderes, bekannteres Wort: an Ihn zu glauben.
Blicket auf zu Ihm, so strahlt euer Angesicht! Was für eine Ankündigung! Was für eine Zusage und Verheißung! Menschen, ganz gewöhnliche Menschen mit strahlenden Gesichtern! Nicht Engel im Himmel, sondern Leute auf Erden! Nicht irgendwelche glückliche Einwohner einer fernen schönen Insel, nein, Leute hier in Basel, hier in diesem Hause! Nicht irgendwelche besonderen Leute unter uns, nein, wir, Jeder von uns! Kann es so gemeint sein? Ja, so ist es gemeint. Aber ist es denn auch so? Ja, so und nicht anders ist es: Blicket auf zu Ihm, so strahlt euer Angesicht! […]
Wir müssten uns über das Einfache klar sein, liebe Freunde: Wir sind eigentlich nicht dazu auf der Welt, um uns selbst, sondern um den Anderen wohlzutun. Es ist aber im Grunde das Einzige, womit wir anderen Menschen wohltun können, eben dies, dass wir ihnen einen Widerschein und Abglanz des Himmels, des Herrn Jesus Christus, Gottes selbst und also ein strahlendes Gesicht zu sehen geben. Warum tun wir das nicht? Warum bleiben wir ihnen gerade das schuldig: das Einzige, womit wir einander helfen könnten? Warum sind die Gesichter, die wir einander zeigen, im besten Fall überlegene, ernste, fragende, sorgenvolle, vorwurfsvolle Gesichter – im weniger guten Fall aber Grimassen oder auch tote Masken, so richtige Basler Fasnachtsmasken? Warum strahlt unser Gesicht nicht?
Ich will dazu nur Eines sagen: es könnte sehr wohl anders sein. Wir könnten durchaus solche Leute sein, die sich mit strahlenden Gesichtern begegnen. Wir könnten durchaus solche richtig wohltuenden Leute sein: wir hier heute! Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit [2. Kor. 3,17] für Jeden, dem Anderen wohlzutun. […]
Blicket auf zu Ihm, so strahlt euer Angesicht, und ihr müsst nicht zu Schanden werden. Ich habe eben von der „dunklen“ Erde gesprochen. Wenn man die Zeitung liest, wenn man um sich blickt, und vor allem, wenn man in sein eigenes Herz und Leben hineinschaut, sieht man wohl: sie ist tatsächlich eine dunkle Erde, eine Welt, vor der und in der man Angst haben kann [vgl. Joh. 16,33]. Warum Angst? Weil wir alle unter der Drohung stehen, wir könnten, ja wir müssten eigentlich zu Schanden werden […]
Aber jetzt hören wir gerade das Gegenteil: ihr müsst nicht zu Schanden werden! Ich wollte wohl, liebe Brüder und Schwestern, ich könnte euch jetzt auffordern, insgesamt aufzustehen und im Chor mit mir zu sagen: Wir müssen nicht zu Schanden werden! Und ein jeder Einzelne müsste es nachsagen, und dann wollte ich als Letzter es auch von mir selber sagen: ich muß nicht zu Schanden werden! Darum geht es: wir müssen tatsächlich nicht, ich muß tatsächlich nicht zu Schanden werden, im Aufblick zu Ihm ganz bestimmt nicht. Gewiß nicht darum, weil wir es verdient hätten! Und nun auch nicht etwa darum, weil unsere Gesichter, wenn wir zu Ihm aufblicken, strahlende Gesichter werden. Es muß und wird uns aber, wenn uns das widerfährt, eben dies ein Zeichen dafür sein, dass wir nicht zu Schanden werden müssen: darum, weil es ja daran offenbar werden wird, dass die Verbindung zwischen Gott und uns hergestellt ist. Und das ist die Kraft dieser Verbindung: dass, was bei Ihm im Himmel wahr ist und gilt, was Jesus Christus für uns getan hat, dass, was durch Ihn geschehen ist: eines jeden Menschen Errettung, Rechtfertigung und Bewahrung, auch da drunten und nun gerade für uns, die zu ihm aufblicken, wahr st und gilt. […]“