Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1902-1966)
Durch seine Familie kam Weber sowohl mit dem rheinischen Reformiertentum als auch mit Freien evangelischen Gemeinden in Kontakt. Von großer Bedeutung war die Prägung durch die Schülerbibelkreise, in denen er aktiv mitarbeitete. Von hier aus ist möglicherweise sein Entschluß zum Theologiestudium zu verstehen. Während der Studienjahre in Bonn und Tübingen (1921-25) orientierte sich W. hauptsächlich an Adolf Schlatter und seiner Theologie, aber auch von Karl Barth empfing er wichtige Impulse. Kirchliche Lebenswirklichkeit lernte er während seines Vikariats in Herchen an der Sieg (1925-27) kennen, wo er auch als Lehrer an der Realschule arbeitete.
Nach dem Zweiten Theologischen Examen wurde er vom Reformierten Bund als Dozent an die Theologische Schule Elberfeld berufen, zu deren Erfolg er, später als Direktor, maßgeblich beitrug (1928-33). In dieser Zeit befestigte er die lebenslange Freundschaft mit dem rheinischen Pfarrer Wilhelm August Langenohl. Durch seine Lehrtätigkeit und durch erste theologische Veröffentlichungen wurde das reformierte Profil von Webers Denken mehr und mehr wahrnehmbar.
Die politischen und kirchenpolitischen Veränderungen des Jahres 1933 stellten auch für W. einen folgenschweren Einschnitt dar. Im Mai wurde er sowohl bei der NSDAP wie auch bei den NS-treuen »Deutschen Christen« Mitglied; hierfür gab er vor allem eine volksmissionarische Motivation an. Reichsbischof Ludwig Müller berief Weber im September als reformierten Vertreter in das Geistliche Ministerium nach Berlin, wo dieser an der Umsetzung der deutsch-christlichen Gleichschaltungspolitik beteiligt war.
Gleichzeitig unternahm er mehrere Versuche, den innerkirchlichen Streit zu befrieden, stand aber dem eigentlichen Anliegen der entstehenden Bekennenden Kirche fern. Nach der Berliner Sportpalastkundgebung im November trat er aus der deutsch-christlichen Bewegung aus, weil er sich mit den dort deutlich gewordenen Zielen nicht mehr identifizieren konnte. Im Dezember trat er als Geistlicher Minister zurück, arbeitete aber als kommissarischer Vertreter des reformierten Bekenntnisses bis Ende 1934 weiter mit.
Zum Sommersemester 1934 wurde Weber zum Professor für Reformierte Theologie an der Universität Göttingen ernannt. Kurz danach veröffentlichte er mit der zweibändigen »Bibelkunde des Alten Testaments« sein erstes größeres Lehrbuch. Darin erkannte er das AT als Teil des christlichen Kanons an, benutzte aber vielfach antisemitische Stereotypen. Einerseits waren seine eigenen Überzeugungen hier wie in anderen Punkten durch die nationalsozialistische Ideologie bestimmt. Andererseits erkannten auch seine kirchenpolitischen Gegner durchaus Webers »Orthodoxie« in Lehre und Forschung an.
Vor allem zu Calvin, dessen Hauptwerk »Institutio Christianae Religionis« er übersetzte (1936-38), publizierte Weber In reduziertem Maße betätigt er sich weiter kirchenpolitisch, vor allem als theologischer Experte des Reformierten Arbeitsausschusses (RAA), der der Reformierten Landeskirche Hannovers nahestand. 1936 wurde er Obmann des Nationalsozialistischen Dozenten-Bundes (NSDB) in der Göttingen theologischen Fakultät. Erst im Sommer 1938 promovierte er, und zwar bei Emanuel Hirsch, dessen Nachfolger als Dekan er im folgenden Frühjahr wurde.
Während der Jahre 1940 bis 1945 war W. als assoziiertes Mitglied Vertreter der Reformierten im Geistlichen Vertrauensrat. In diesem Rahmen beteiligte er sich an einem Brief an Bischof Wurm, in dem der GVR die Ausstoßung »nichtarischer« Christen und Christinnen aus der Deutschen Evangelischen Kirche theologisch rechtfertigte - hier hatte Weber den Rahmen des christlichen Bekenntnisses verlassen. Im Deutschen Reformierten Kirchenausschuß, dem Nachfolgeorgan des RAA, setzte sich Weber für die Wahrung reformierter »Belange« ein, näherte sich daneben einigen Wuppertaler Mitgliedern der Bekennenden Kirche sowohl persönlich wie inhaltlich an. Als Dekan seiner Fakultät amtierte Weber bis zum Kriegsende, mit Ausnahme des Jahres 1943, als er zur Wehrmacht eingezogen wurde und in einem Kriegsgefangenenlager in Oberschlesien Dienst tat.
Der Übergang in die Nachkriegszeit verlief für Weber äußerlich weitgehend unproblematisch; sein Entnazifizierungsverfahren endete 1949 mit der Entlastung (Kategorie V). Dennoch empfand er sein Dasein als sehr von seinem Vorleben geprägt. Gegenüber Karl Barth und anderen (z. B. Martin Niemöller) bekannte Weber seine Schuld - und erfuhr dabei Vergebung. Trotz seines ehrlichen Schuldeingeständnisses war er aber nicht frei davon, in der Rückschau seine Vergangenheit an einigen Stellen apologetisch umzudeuten.
In den letzten Jahren bis zu seinem plötzlichen Tod 1966 verlief Webers Leben bei weitem nicht so bewegt wie zuvor. Theologisch zeigte er sich eindeutig von Karl Barth beeinflußt, über dessen »Kirchliche Dogmatik« er ab 1950 fortlaufend in präzisen Zusammenfassungen berichtete. Von Webers eigenen theologischen Werken sind besonders die zweibändigen »Grundlagen der Dogmatik« (1955 / 1962) zu nennen, in denen er neben einer breiten Aufnahme der Tradition und der Anlehnung an Barth vor allem durch die Verarbeitung personalistischer Denkstrukturen ein eigenes Profil zeigte. In seinen Seminaren an der Universität, aber auch in vielen Vorträgen und Aufsätzen behandelte er immer wieder die Anthropologie.
Wie ein roter Faden zieht sich die Beschäftigung mit Calvin und den reformierten Bekenntnisschriften durch seine Arbeit, weil es ihm ein wichtiges Anliegen war, die Relevanz reformatorischer Theologie in der Gegenwart aufzuzeigen. Aber auch zu neueren Themen wie der Frauenordination oder Wiederaufrüstung und Atombewaffnung nahm er (hier befürwortend - dort ablehnend) Stellung; in politischen Fragen äußerte er sich oftmals gemeinsam mit Ernst Wolf, der ihm unter den Göttinger Kollegen am nächsten stand. Dekan der theologischen Fakultät war Weber auch in den fünfziger Jahren (1950/51 sowie 1957/58), ferner amtierte er als Rektor der Universität Göttingen (1958/59) sowie als erster Gründungsrektor der Universität Bremen (1964-66).
Kirchliche Verantwortung übernahm er als Presbyter der reformierten Gemeinde (seit 1958), als Landessynodaler der Evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland (1963-65) sowie als Mitglied im Moderamen des Reformierten Bundes (1950-65). - Weber war oft in der ersten Reihe zu finden, beispielsweise es als deutsch-christlicher reformierter Geistlicher Minister 1933, als bedeutender deutscher Vertreter der Barthschen Theologie nach 1950, als Rektor der Göttinger und der Bremer Universität, sowie an anderen Orten. Durch seine Lehrtätigkeit und seine Veröffentlichungen prägte er über 32 Jahre lang nicht nur die studentische Art, reformierte Theologie zu treiben.
Er lebte in vier politischen Systemen und lehrte in allen theologischen Disziplinen (Altes Testament, Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Praktische Theologie). Seine rezeptive Begabung und seine pädagogischen Fähigkeiten, seine Auffassungsgabe und sein Darstellungsvermögen hoben ihn hervor, doch nicht immer dienten ihm seine Anlagen zum Guten.
Man kann Webers Leben auf mehreren Ebenen als ein »gebeugtes Leben« bezeichnen. Einmal in dem Sinne, daß er als gläubiger Christ sich dem Wort Gottes und den kirchlichen Bekenntnissen beugte. Zum zweiten war es ein »gebeugtes Leben«, weil W. sich vielfach den politischen Verhältnissen beugte und sich willig den Herrschenden unterordnete. Besonders im »Dritten Reich« beugte er sich den politischen Gegebenheiten derart, daß dies einer Beugung unter das Wort Gottes konträr gegenüberstand. Drittens: Als Weber sein Fehlverhalten erkannte und bereute, nahm er sein Leben wahr als von der Last der Vergangenheit »gebeugt«.
Quelle: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Dort ein Verzeichnis der Veröffentlichungen Otto Webers sowie von Büchern und Artikeln über ihn. Die Veröffentlichung auf reformiert-info erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Traugott Bautz.
Literatur:
- Vicco von Bülow, Otto Weber (1902-1966). Reformierter Theologe und Kirchenpolitiker (AKZG.B 34), Göttingen 1999
Calvin und die Hexenverfolgung
von Achim Detmers
Praetorius war einer der ersten Kritiker der Hexenprozesse und soll sich in seinem Werk »Gründlicher Bericht Von Zauberey vnd Zauberern« »vehement gegen Calvins [..] Aufruf zur Verbrennung der Hexen« gewandt haben. (1) Diese Behauptung ist insofern von Bedeutung, als Pfarrer Praetorius zu den entschiedenen Anhängern Calvins zählte. Aus einem Vergleich der beiden können folglich wichtige Hinweise gezogen werden, wie Calvins Aussagen zur Hexenthematik einzuschätzen sind.
Betrachtet man die Behauptung genauer, Praetorius habe sich von Calvins Äußerungen distanziert, so begegnet hier gleich die erste Überraschung. Interessanterweise wird Calvin in dem genannten Werk des Praetorius von 1613 nur ein einziges Mal erwähnt – und zwar durchweg positiv. Praetorius beruft sich hier nämlich auf Calvins Auslegung von Gen 6,1f. Darin kritisiert Calvin die aberwitzige Auslegung ›gelehrter Männer‹, die in Gen 6 einen Beischlaf von Engeln mit Frauen hineinfantasieren. (2) Unter Berufung auf Calvin widerlegt Praetorius, dass Hexen mit dem Teufel Beischlaf haben können. Und zugleich kritisiert er (mit Calvin) Theologen, die solchen Vorstellungen Vorschub leisteten. Calvin ist für den reformierten Pfarrer Praetorius also eine Autorität, die er im Kampf gegen Hexenverfolgungen auf seiner Seite sieht. Kritik an anderslautenden Äußerungen Calvins sind in diesem wichtigen Werk von Praetorius an keiner Stelle zu finden.
Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, weil sich Calvin in seinem Riesenwerk nur an wenigen Stellen überhaupt zu dem Thema ›Zauberei/Wahrsagerei/Beschwörungen« äußert (3). Und er tut dies auch nur im Zusammenhang mit seinen Schriftauslegungen, wenn er in der Bibel auf Phänomene von Zauberei usw. stößt:
a. In seiner Auslegung zu Dtn 18,10f z. B. kommentiert Calvin Gottes Mahnung an das Volk Israel, sich nicht an den magischen Praktiken der Kanaaniter zu beteiligen. Calvin argumentiert, dass es solche Praktiken offenbar gebe, sonst würde sie Gott ja nicht verbieten. Aber, so Calvin, Schadenszauber, Trugbilder und scheinbare Außerkraftsetzung der Naturgesetze geschehen nicht aufgrund von teuflischen Praktiken, sondern unter Gottes Zulassung, um die Ungläubigen in die Irre zu führen. Und erstaunlicherweise ist es Praetorius, der mit exakt dieser Argumentation knapp 40 Jahre später dem Hexenglauben zu Leibe rückt. Praetorius argumentiert nämlich genau wie Calvin, dass Gott allmächtig sei; nur er allein könne in die Gesetze der Natur eingreifen. Der Teufel und angebliche Zauberer seien an die Naturgesetze gebunden. Nur auf Gottes Befehl hin, könne der Teufel überhaupt etwas bewirken. Teuflische Zauberei an sich, so Praetorius, existiere also gar nicht. Phänomene wie Hexenflug, Hexentanz und Teufelsbuhlschaft seien lediglich vom Teufel erzeugte Fantasien. (4)
b. Eine weitere Passage, in der Calvin kurz auf Zauberei zu sprechen kommt, ist seine Auslegung von Ex. 22,18 und Lev 20,6.27. Dort kommentiert er die alttestamentliche Forderung der Todesstrafe für Zauberinnen und die Steinigungsstrafe für Wahrsager und Zeichendeuter. Calvin bezeichnet es als »nicht verwunderlich«, dass hier die Todesstrafe gefordert werde, weil solche Praktiken gefährlich seien; ihnen lägen Selbstüberhebung und Abfall vom wahren Glauben zugrunde. Deshalb fordert Calvin in einer Predigt über Dtn 18,10-15, dass die weltliche Justiz Zauberei und Hexerei ebenso wenig dulden dürfe wie Diebstahl und Mord. (5) Man könnte jetzt vermuten, dass Praetorius hier Calvin grundsätzlich widerspricht. Doch genau wie Calvin stimmt er dem alttestamentlichen Urteil über Zauberei zu. Zauberei und Teufelsdienst seien nämlich Abfall von Gott und würden mit ewiger Verdammnis bestraft; hier habe das Alte Testament ewige Gültigkeit. Im Unterschied zu Calvin beantwortet Praetorius aber die Frage differenziert, ob die Bestrafung durch Gott auch die Todesstrafe durch die weltliche Justiz rechtfertigt. Praetorius kommt hier zu dem Urteil, dass das nicht für alle Arten von Zauberei gelte, sondern nur für Giftmörder. Bei ›spirituellen‹ Verbrechen könne der Sünder ja durch Reue und Buße zu Gott zurückkehren. Grundsätzlich aber sei Zauberei durch die Justiz zu strafen, aber im Falle der Umkehr nicht mit der Todesstrafe, sondern mit Geldstrafe, Prügelstrafe oder Pranger. Die Unbußfertigen, die niemanden beschädigt hätten, sollten geprügelt und des Landes verwiesen werden. (6)
Der Unterschied zwischen Calvin und Praetorius ist also gar nicht so groß und grundsätzlich wie wieder oben behauptet. Im Gegenteil, in zentralen Fragen erweist sich Praetorius als Schüler Calvins. Gleichwohl wird in der Wanderausstellung über Praetorius (7) eine Tafel gezeigt, die Calvin als gnadenlosen Ankläger und Verfolger von Hexen darstellt. Auf der Tafel wird eine dürftige Notiz aus den Genfer Ratsprotokollen als zentraler Beleg für diese Auffassung zitiert. Diese Belegstelle und seine fragwürdige Interpretation geht zurück auf das Werk des Zürcher Pfarrers und Psychoanalytikers Oskar Pfister (1873-1956). Er veröffentlichte 1947 eine kleine Schrift zum Hexenprozess von Peney. (8) Dieses Werk des Hobbyhistorikers Pfister ist leider so fehlerhaft, dass es gleich nach Erscheinen zahlreiche Kritik erfuhr, (9) In der seriösen Calvinforschung spielt das Werk deshalb heute kaum eine Rolle. Denn Pfister setzt in seinem Buch voraus, dass Calvin in Genf ein Terrorregime errichtet habe und beliebig auf die Rechtsprechung des Genfer Rates Einfluss nehmen konnte. Eine Auffassung, die spätestens seit dem Calvin-Jahr als widerlegt gelten kann. Zudem zeichnet der Psychoanalytiker Pfister ein überaus düsteres Bild Calvins. Er sei von »pathologischer Angst« und neurotischen »Zwangsvorstellungen« getrieben, bei ihm würden kulturell längst überwundene primitive Triebe hervorbrechen, insb. »Sadismus und Masochismus« (10). Mit diesen Zuschreibungen war es Pfister kaum möglich, Calvins Rolle beim Hexer- und Hexenprozess von Peney angemessen zu beurteilen.
Doch nun zu den Vorwürfen im Einzelnen: 1542 bis 1545 wütete in Genf die Pest. Die Pest versetzte die Menschen in Panik. Schuldige wurden gesucht und bald gefunden. Auf dem Höhepunkt der Pest wurden 34 Personen mithilfe der Folter ›überführt‹, Türschlösser mit Pestgift bestrichen zu haben. Sie wurden 1545 ohne jede Mitwirkung Calvins wegen Pestverbreitung zum Tode verurteilt. (11). Das Abebben der Seuche führte dann zu einer Beruhigung der Situation. Doch im Oktober 1545 wurde der Burgvogt von Peney vom Genfer Rat mit der Durchführung eines Prozesses gegen sechs der Zauberei angeklagte Personen beauftragt. Bei der angewandten Folter wurden Geständnisse schwarzer und weißer Magie erpresst. Ein Angeklagter wurde dabei so schwer verletzt, dass er kurzerhand zum Tode verurteilt wurde, um die Folterekzesse zu vertuschen. Dieses Fehlverhalten führte eventuell dazu, dass der Genfer Rat von weiteren Todesurteilen absah, zumal die Beschuldigten keine eindeutigen Geständnisse lieferten. Die Beschuldigten wurden freigelassen bzw. verbannt. (12)
In diesem Augenblick betritt nun Calvin erstmals die Bühne. Er erscheint aus nicht bekannten Gründen am 19. November 1545 vor dem Genfer Rat. Bei ihm ist der Pfarrer von Peney Jaques Bernard, der zu den eifrigsten Verfolgern von Zauberei und Hexerei gehörte und der seine Gemeinde von Zauberern und Ketzern unterwandert sah. (13) Die betreffende Notiz aus dem Ratsprotokoll, die auch auf der Ausstellungstafel zitiert ist, besagt nun Folgendes:
»Dazu haben Herr Calvin, Pfarrer in Genf, und Meister Jaques Bernard, Pfarrer im Gebiet von Peney, ausgeführt, wie man sich bereits sorgfältig bemüht habe, die Rechtsprechung bei einigen Missetätern des genannten Gebietes anzuwenden. Aber es gebe noch viele andere. Sie ersuchen, den Beamten des genannten Gebietes zu befehlen, dass sie eine gesetzliche Untersuchung gegen solche Häretiker (bzw. Zauberer) anstellen, um die Brut des genannten Gebietes auszumerzen. In Bezug hierauf wird angeordnet, dass der Burgvogt von Peney diese Angelegenheiten weiter nachverfolgen und brauchbare Informationen beibringen solle.« (14)
Dieser kurzen Protokollnotiz ist also nicht genau zu entnehmen, was Calvin und was Pfarrer Bernard dem Rat jeweils vorgetragen haben. Auch ist das Vorgetragene keineswegs so empörend, wie Oskar Pfister in seinem Werk glauben machen will. Calvin und/oder Bernard ersuchen den Rat, eine gesetzliche Untersuchung anzustellen mit dem Ziel, in Peney Ruhe einkehren zu lassen im Blick auf die Verunsicherung durch Zauberei und Häresie. Ob das Wort »extirper«, also »ausmerzen« bei der Ratssitzung von Calvin gebraucht wurde oder von Pfarrer Bernard oder in der Diskussion gefallen ist, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen und somit auch nicht gegen Calvin in Anschlag bringen.
Feststeht auf jeden Fall, dass die Beratung im Genfer Rat zur Folge hatte, dass in Peney erneut Untersuchungen angestellt wurden. Der schon einmal angeklagte Amyed Darnex wurde daraufhin erneut vernommen. Unter Folter gestand er zunächst, sich dem Teufel verschrieben zu haben. Dieses Eingeständnis war aber nach damals geltendem Recht nur gerichtsverwertbar, wenn es ohne Folter wiederholt wurde. Darnex beteuerte jedoch nachdrücklich seine Unschuld, sodass der Genfer Rat sich schließlich gezwungen sah, das Verfahren einzustellen und Darnex aus dem Gebiet von Peney zu verbannen. (15)
Calvins angebliches ›Eingreifen‹ führte also keineswegs zu einer Welle von Hexenverfolgungen, wie Pfister suggeriert, sondern zu einer nach damaligen Maßstäben rechtskräftigen Untersuchung mit dem Ergebnis, dass keine Hinrichtungen verhängt wurden und es in Genf zu Calvins Lebzeiten zu keiner weiteren bemerkenswerten Hexenverfolgung gekommen ist. (16)
Anmerkungen/Literatur:
(1) H.Hegeler in: http://www.anton-praetorius.de/opfer/hexenjaeger.htm#Calvin.
(2) A.Praetorius, Von Zauberey vnd Zauberern Gründlicher Bericht, Heidelberg 1613, 62.
(3) Eine Übersicht gibt P.Jensen, Calvin and Witchcraft, in: The Reformed Theological Review 34 (1975), 76-86.
(4) Ähnlich beurteilt Calvin übrigens die Erscheinung des verstorbenen Samuel, dessen Geist auf Wunsch Sauls von der Frau in Endor heraufbeschworen wurde (1. Sam 28). Calvin urteilt, dass dieser Geist nicht Samuel gewesen sein könne, sondern nur eine Illusion (»spectrum«) des Teufels. Vgl. CO 30 (Hom. zu 1. Sam 28). Zu Praetorius vgl. Jürgen Michael Schmidt, Praetorius, Antonius. Aus: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, hrsg. v. Gudrun Gersmann, Katrin Moeller u. Jürgen-Michael Schmidt, in: historicum.net, URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/1663/ 22.4.2013. Vgl. Jörg Haustein, Martin Luthers Stellung zum Zauber- und Hexenwesen, Stuttgart u.a. 1990, 150-152, der bei Calvin »rationalistische Tendenzen« ausmacht, »die eine gewisse Vorarbeit leistete für eine physikalisch-rationalistische (…) Überwindung des Hexenwahns« (151f).
(5) Ähnlich äußert sich Calvin in einer Predigt zu 1. Sam 28. Vgl. Ioannis Calvini Opera 30, 632.
(6) Vgl. Jürgen Michael Schmidt, Praetorius, a.a.O. Auch im Genfer Konsistorium gab es in zahlreichen Beispielen die Praxis, bei dem Vorwurf der Zauberei abgestuft zu urteilen. Diese Abstufungen reichen von der einfachen Ermahnung bis zum Ausschluss vom Abendmahl. Lediglich schwere Vergehen wurden unmittelbar an den Genfer Rat verwiesen. Vgl. E.Pfisterer, Calvins Wirken in Genf, Neukirchen 1957, 146; R.M.Kingdon, Eine neue Sicht Calvins im Lichte der Protokolle des Genfer Konsistoriums, in: Reformierte Kirchenzeitung 138 (1997), 567-573.
(7) »Kämpfer gegen Hexenprozesse und Folter«, 2013 http://www.anton-praetorius.de/downloads/Bethel%20Praetorius%20Ausstellung%202013.pdf)
(8) Oskar Pfister: Calvins Eingreifen in die Hexer- & Hexenprozesse von Peney 1545 nach seiner Bedeutung für Geschichte & Gegenwart, Zürich 1947.
(9) Z. B. F.Büsser in: Zwingliana Bd 8,9 (1948), 555-558; ders. in: Theologische Zeitschrift 4,4 (1948), 310-313; E.Pfisterer, Calvins Wirken in Genf, Neukirchen 1957, 143-150.
(10) A.a.O., 101f.
(11) Calvin schenkte den Vorwürfen der Pestverbreitung übrigens Glauben: »Denn vor Kurzem wurde eine Verschwörung von Männern und Weibern entdeckt, die seit drei Jahren die Pest in der Stadt verbreiteten, durch, ich weiß nicht, welche Giftmischerei. Obwohl fünfzehn Weiber verbrannt, einige Männer noch grausamer hingerichtet worden sind, einige im Kerker selbst den Tod suchten, noch fünfundzwanzig gefangen gehalten werden, hören sie doch nicht auf, jeden Tag die Haustürschlösser mit ihren Salben zu bestreichen. Sieh, in welcher Gefahr wir schweben. Gott hat bisher unser Haus unversehrt erhalten, obwohl es schon mehrmals angegriffen wurde. Gut ist nur, dass wir uns in seinem Schutze wissen.« (Calvin an Myconius am 27.3.1545). Allerdings ist Calvin zugleich bemüht um Milderung der Strafen und des Vorgehens beim Prozess gegen die ›Pestverbreiter‹. Vgl. F.Büsser, a.a., 556.
(12) Vgl. F.Büsser in: Zwingliana Bd 8,9 (1948), 555f; O.Pfister, a.a.O., 25-33.
(13) K.Baschwitz, Hexen und Hexenprozesse. Geschichte eines Massenwahns, München 1966, 264.
(14) »Sur ce que Monsieur Calvin, ministre en Genève, et maistre Jaque Bernard, ministre en la terre de Pigney, hont exposé comment desjà l´on a faict diligence de faire justice d´aulchungs delinquans de lad. terre, mes que encore il en a beaucopt d´aultres, requerant commander aux officiers de ladite terre de fère légitime inquisition contre tel hereges affin de extirper telle rasse de ladite terre, ordonné que soyt commandé au chastellain de Pigney de suyvre apprès tel affères et qui en pregne bonne information.« (zitiert nach O.Pfister, a.a.O., 33).
(15) K.Baschwitz, a.a.O., 262f.
(16) Vgl. E.W.Monter, Witchcraft in Geneva, 1537-1662, in: The journal of modern history 43/2 (1971), 179-204.
Dr. Achim Detmers, Studienleiter des Kirchlichen Fernunterrichts (KFU), April 2013