''versunken in tiefem Schlamm ... die Flut reißt mich fort''

Psalm 69 und die Überschwemmungskatastrophe in Pakistan. Von Paul Kluge, Leer

Psalm 69, 2 – 4 und 14 – 19a. 30b

2 Hilf mir, Gott, das Wasser steht mir bis zum Hals.

3 Ich bin versunken in tiefem Schlamm,wo kein Grund ist.
In Wassertiefen bin ich geraten,und die Flut reisst mich fort.

4 Ich bin erschöpft von meinem Rufen, meine Kehle brennt, meine Augen ermatten,
da ich harre auf meinen Gott.

...
14 Ich aber komme mit meinem Gebet zu dir, HERR, zur Zeit deines Wohlgefallens;
Gott, in deiner grossen Güte erhöre mich mit deiner treuen Hilfe.

15 Rette mich aus dem Schlamm, dass ich nicht versinke,
dass ich gerettet werde vor denen, die mich hassen, und aus den Wassertiefen,

16 dass die Wasserflut mich nicht fortreisse und die Tiefe mich nicht verschlinge,
noch der Brunnen seinen Mund über mir schliesse.

17 Erhöre mich, HERR, denn deine Güte ist köstlich,
in deinem grossen Erbarmen wende dich mir zu.

18 Verbirg dein Angesicht nicht vor deinem Diener,
denn mir ist bange, erhöre mich bald.

19 Sei mir nah, erlöse mich,
...
30 ... deine Hilfe, Gott, beschütze mich.

EG 732 (Versweise im Wechsel Liturg – Gemeinde oder je eine Hälfte der Gemeinde)

Liebe Geschwister!

Am Tag, als der Regen kam, fand der Junge das ganz normal. Als der Lehmboden seiner Hütte erst feucht, dann schlammig wurde, überraschte auch das ihn nicht. Das war immer so, wenn der große Regen einsetzte. Trotz seiner zwölf Jahre wusste er, was zu tun war, und er tat es. Seine kleine Schwester half ihm und lernte dabei.

Dann kam das Wasser in die Hütte. Erste Gegenstände schwammen auf dem stinkenden Nass aus Regen und Kloake. Als das Wasser ihm bis an die Hüfte reichte, stopfte er Essen in einen Beutel, wickelte zwei Wolldecken zu einem Bündel, nahm seine Schwester an die Hand und verließ mit ihr die Hütte. Kehrte noch einmal zurück, um sein Transistorradio zu holen. Dann kämpften sie sich gegen die Strömung in ein höher gelegenes Gebiet. Tote Tiere trieben an ihnen vorbei, Müll und mancher Hausrat. Gemeinsam mit anderen Menschen strebten sie einem nahen Hügel zu.

Dort drängten sich bereits viele Schutz Suchende. Manche hatten eine Ziege am Strick mitgezogen, andere ein paar Hühner in einem Korb. Neu ankommende Menschen wurden mit Knüppeln und Steinen abgewiesen: Kein Platz mehr. Dem Jungen wurde angst, als er das sah, und Sorge um seine kleine Schwester drückte ihn. Wut trieb ihm Tränen in die Augen.

Da hörte er seinen Namen und den seiner Schwester. Er blickte in die Richtung und erkannte einen Nachbarn. „Da seid ihr ja endlich“, rief der und: „Wir haben euch schon vermisst. Kommt her!“ Die beiden Kinder quälten sich durch die Menschen, die sie nur unwillig durch ließen.

Der Nachbar herrschte seine Kinder an zusammenzurücken. So bekamen die beiden etwas Platz auf der Zeltbahn des Nachbarn. Der genoss einiges Ansehen im Dorf, denn er hatte vor Jahren in den Bergen gekämpft. Es regnete noch immer. Es regnete noch Tage lang, das Wasser stieg und der Platz auf dem Hügel schrumpfte von Tag zu Tag.

Über sein kleines Radio hörte der Junge von der großen Flut. Er hörte von überschwemmten Städten und Dörfern, deren Namen er noch nie gehört hatte. Er hörte Zahlen von Toten, viel mehr als sein Dorf Einwohner hatte. Er hörte Zahlen von Menschen, die alles verloren hatten; Zahlen, die er sich nicht mehr vorstellen konnte. Er hörte von weggeschwemmter Ernte und dass sein Land sich nicht mehr ernähren könne.

Er weinte, denn er hatte großen Hunger und noch größeren Durst. Er hielt den offenen Mund in den Regen, wie alle es taten. Doch der Durst blieb, der Hunger wuchs – und das Wasser stieg. Der Platz auf dem Hügel war so eng geworden, dass sich keiner mehr hinlegen konnte. Die Menschen saßen oder standen, kaum einer sprach noch. Und wenn, dann vom Sterben. Denn ein alter Mann war auf dem Hügel gestorben. Sie konnten ihn nicht begraben und warfen seine Leiche ins Wasser. Der Junge aber wollte leben, und das wollte er auch für seine kleine Schwester.

Der Nachbar hatte gemeinsam mit einigen anderen Männern durchgesetzt, dass die Milch der mitgezerrten Ziegen, die Eier der Hühner in den Körben allen zu Gute kamen. Das hielt den Hunger an der Grenze des Erträglichen. Schlimmer war der Durst. Es waren ein paar Schüsseln aufgetaucht, mit denen sie den Regen auffingen, doch das reichte nur für zwei, drei Hände voll Wasser für jeden. Denn der Regen hatte inzwischen etwas nachgelassen. Der Nachbar hatte auch dafür gesorgt, dass die Gebetszeiten eingehalten wurden. Nicht alle waren innerlich dabei, und doch tat allen das Beten gut, stärkte sie und hielt ihre Hoffnung aufrecht.

Eines Tages – der wievielte auf dem Hügel es war, wusste keiner – war in der Ferne ein Knattern zu hören, wurde lauter, und ein dunkler Punkt am Horizont wurde allmählich zum Hubschrauber. In einiger Entfernung vom Hügel fiel ein weißer Sack herunter. Sofort sprangen zwei Männer ins Wasser und verschwanden darin. Sie tauchten nicht wieder auf. Der Hubschrauber kam näher, ließ an einem Seil einen weiteren Sack herunter und mehrere Kanister: Der Nachbar und seine Männer kümmerten sich um Sack und Kanister und organisierten die Verteilung von frischem Wassers und Nahrung. Faust- und Stockhiebe kamen dabei zum Einsatz. Der Junge vertraute darauf, dass der Nachbar ihn und seine Schwester nicht vergäße; er täuschte sich nicht.

Als der Regen aufhörte, kamen die Mücken, stürzten sich blutgierig auf die Menschen. Und fanden jede unbedeckte Stelle Haut. Nach ein paar Tagen sank das Wasser, erst langsam, dann immer schneller. Wo die Straße verlief, lag Schlamm, und in dem Schlamm lagen Tierkadaver, Holz, Hausrat und vieles mehr. Die Menschen auf dem Hügel begannen, ihre Sachen zu packen, wollten zurück in ihr Dorf, in ihre Häuser. Gemeinsam brachen sie auf, alle voller Sorge, wie es zu Hause aussehen würde. Die Batterien des Transistorradios waren längst leer, und so kannte keiner das Ausmaß der Zerstörung.

Auf dem Weg zu ihrem Dorf fanden sie die Leiche des gestorbenen Alten. Sie wollten sie später ordentlich beerdigen. Immer langsamer gingen sie, je näher sie ihrem Dorf kamen. Denn was sie sahen, schien ein Trümmerhaufen zu sein. Das Minarett aber stand noch, ragte wie ein knöcherner Finger in die Luft. Manche schöpften Hoffnung daraus.

Ungläubig sahen die Menschen, dass ihr Dorf aus lauter Schutthaufen bestand. Schlammschichten überzogen die Haufen, aus denen hie und da ein Stück Holz ragte oder eine Eisenstange. Manche begannen dort, wo sie ihr Haus vermuteten, mit ihren Händen im Schlamm nach ihrem Habe zu graben. Doch alles, was beweglich war, hatte das Wasser mitgenommen. Sie standen wortwörtlich, buchstäblich vor dem Nichts.

Auch der Junge und seine kleine Schwester kratzten dort, wo sie ihre Hütte vermuteten, in dem durch die nun scheinende Sonne hart gewordenen Schlamm. Schmerzen in den Fingern zwangen sie aufzuhören, bevor sie durch die getrocknete Schlammschicht gekommen waren. Ratlos, hilflos saßen sie als zwei Häufchen Elend auf dem Haufen Schutt, der einmal ihr Zuhause gewesen war. Hand in Hand saßen sie und weinten ihr Elend in den trockenen Schlamm. Was mit ihnen werden würde, wussten sie nicht.

Eine Frau in verdreckter Burka näherte sich, ihr Gang wurde immer schneller, dann rief sie fragend die Namen der beiden Kinder. Die erkannten die Stimme ihrer Mutter und rannten ihr entgegen. Wie lange hatten sie ihre Mutter nicht mehr gesehen? Die arbeitete weit weg in einer größeren Stadt und kam nur ab und zu, um nach ihren Kindern zu sehen. Dann brachte sie immer etwas mit, Dinge, die es im Dorf nicht gab. Nun kam sie mit leeren Händen. Doch das trübte nicht die Freude der Kinder, ihre Mutter bei sich zu haben.

Die erzählte später, dass auch die Stadt im Wasser untergegangen, dass viele Menschen ertrunken seien und dass sie nun keine Arbeit mehr habe, um sich und die Kinder zu ernähren. Dann machten sie sich auf die Suche nach Essbarem. Wo früher die Gemüsefelder waren, wollten sie suchen, und entdeckten ein paar verschlammte Früchte an einem Baum. Der Junge kletterte hinauf, sie zu pflücken; die erste aß er sofort.

Von seinem erhöhten Platz aus sah er viele Menschen in eine Richtung eilen. Er folgte ihnen mit den Augen, sah zwei Lastwagen mit Anhänger und darum herum eine sich vergrößernde Menschentraube. Schnell pflückte er noch ein paar Früchte, dann lief er mit Mutter und Schwester ebenfalls zu den Wagen. Rot gekleidete Männer und sogar Frauen luden Kisten ab, auf ihren Jacken hatten sie ein weißes Kreuz mit acht Spitzen und unleserliche Schriftzeichen. Einige begannen, Wasser und Nahrung zu verteilen; bewaffnete Soldaten sorgten für Ordnung. Andere bauten Zelte auf, und ein Soldat rief, dass Kranke und Verletzte sich melden sollten, sie würden kostenlos behandelt. Das Gedränge und Geschrei war groß. Der Nachbar sprach mit einem der Soldaten, dann kletterte er auf einen Laster und beruhigte die Menge: Alle würden versorgt, und die Nacht könnten sie in den Zelten verbringen.

Der Junge, seine kleine Schwester und ihre Mutter stellten sich so geduldig wie möglich in die Reihe der Wartenden. Als sie ihre Portion Wasser und Essen, dazu je eine Wolldecke empfangen hatten, führte jemand sie zu einem großen Zelt. Gemeinsam mit anderen tranken und aßen sie, rollten sich in ihre Decken und fielen in tiefen Schlaf. So wohlig waren sie lange nicht mehr eingeschlafen. Amen

Information, ggf. als Kollektenempfehlung, oder auch nach kleiner Pause vor dem Amen:

Landesweit sind nach Schätzungen der UNO mehr als 20 Millionen Pakistaner von den schweren Überflutungen betroffen. In etwa einem Fünftel des Landes sind Dörfer, Brücken, Straßen und Felder zerstört. Diese Fläche ist etwa so groß wie die Hälfte von Deutschland. Eine Hungersnot ist für das kommende Jahr zu befürchten.

Hunderttausende Menschen leiden unter Hautinfektionen, Durchfall- und Atemwegserkrankungen. Die Flutopfer müssen mit Frischwasser und Nahrung, mit Hygieneartikeln und Kleidung, mit Wolldecken und Zelten versorgt werden, um ihr Überleben zu sichern. Kranke brauchen dringend Behandlung und Medikamente. Die Diakonie-Katastrophenhilfe und die Johanniter-Unfall-Hilfe sind vor Ort; sie sorgen dafür, dass unsere Hilfe ankommt. Die aber wird von Tag zu Tag dringender.

Als Gebet Ps 69 (nach EG 732) mit anschließendem Unser-Vater gemeinsam sprechen.

Pakistan: Nach der Überschwemmungskatastrophe ist mehr Hilfe nötig


Pfr. Paul Kluge, Leer