Im Dialog mit Paulus

Predigt zu Röm. 5, 1-5 in Gesprächsform


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von Stephan Schaar, Ref. Pfarrer, Berlin-Tempelhof

Pf. Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN.

Pa. Liebe Paulus-Gemeinde in Berlin-Tempelhof, ihr wundert euch, direkt angesprochen zu werden von mir, Paulus, dem Namensgeber eurer durch Fusion dreier Gemeinden entstandenen Kirchengemeinde?

Nun ja - was tut man nicht alles, um ein klitzekleines bisschen Aufmerksamkeit zu erzeugen in diesen aufgeregt-abgeklärten Zeiten, wo gleichzeitig Millionen von Informationen übermittelt, Nachrichten weitergegeben und Grüße ausgetauscht werden, oftmals verbunden mit Fotos und Videos; wobei die meisten davon der Unterhaltung dienen und nicht etwa der Bildung oder der Orientierung!

Im Netz ist alles synchron - über Zeitzonen hinweg simultan verfügbar.
Im Netz kannst du dir Dinge aneignen, die eigentlich in einen ganz anderen Kontext gehören.
So machen wir das jetzt auch mit jenen Zeilen, die ich in der Mitte des ersten christlichen Jahrhunderts an die Gemeinde in Rom geschrieben habe. Es handelt sich um die ersten fünf Verse des fünften Kapitels des so oft aufgeschlagenen Römerbriefes - hört:

1 Nachdem wir nun aufgrund des Glaubens für gerecht erklärt worden sind, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn.
2 Durch ihn haben wir freien Zugang zu der Gnade bekommen, die jetzt die Grundlage unseres Lebens ist, und im Glauben nehmen wir das auch in Anspruch. Darüber hinaus haben wir eine Hoffnung, die uns mit Freude und Stolz erfüllt: Wir werden einmal an Gottes Herrlichkeit teilhaben.
3 Doch nicht nur darüber freuen wir uns; wir freuen uns auch über die Nöte, die wir jetzt durchmachen. Denn wir wissen, daß Not uns lehrt durchzuhalten,
4 und wer gelernt hat durchzuhalten, ist bewährt, und bewährt zu sein festigt die Hoffnung.
5 Und in unserer Hoffnung werden wir nicht enttäuscht. Denn Gott hat uns den Heiligen Geist gegeben und hat unser Herz durch ihn mit der Gewißheit erfüllt, daß er uns liebt.

Pf. Moment, mein Lieber! Das ist doch schon wieder etwas für die Eingeweihten. Wenn ich meiner Gemeinde damit komme, muss ich mir hinterher wieder die Frage anhören,  für wen das eigentlich bestimmt ist, warum es in den Predigten immer so theologisch zugehen muss und nicht mal von ganz normalen Dingen geredet werden kann, die jeder versteht und die die meisten von uns angehen, die sie deshalb nachvollziehen können, die sie interessieren?

Pa. Schon mal was davon gehört, daß man Texte auch beiseite legen kann? Niemand nötigt euch, meine Briefe zu lesen - und wenn ihr sie nicht versteht, euch nicht dafür interessiert, dann lest und diskutiert doch was anderes!

Pf. Du hast gut reden, Paulus! Es gibt immerhin eine Perikopenordnung und Leute, die großen Wert darauf legen, dass wir Pfarrerinnen und Pfarrer nicht einfach über unsere Lieblingstexte predigen, sondern uns mit dem auseinandersetzen, was uns laut Ordnung unserer Kirche vorgegeben ist.

Pa. Ich sehe da, ehrlich gesagt, überhaupt keinen Gegensatz. Oder meint ihr, ich hätte mich über theologische Probleme ausgelassen, wenn mir nicht zuvor entsprechende Fragen gestellt worden wären? Ich weiß wohl, daß ihr in einer sehr anderen Welt lebt als unsereins. Aber ich verstehe nicht, weshalb es ein unüberwindliches Hindernis darstellt, mal ein paar Dinge im Zusammenhang zu betrachten.

Natürlich könnt ihr euch auch über die Fußball-Bundesliga unterhalten oder das Wetter. Das haben wir doch auf unsere Weise auch getan - beim täglichen Plausch mit dem Nachbarn. Aber so etwas gehört nun einmal  nicht in jene Briefe hinein, bei denen es um Grundfragen des christlichen Glaubens geht.

Pf. Ich bin ganz deiner Meinung, aber ich bin froh, daß du das jetzt gesagt hast und nicht ich. Also gut, dann greife ich jetzt mal das auf, was du geschrieben hast. Ich denke, die ersten Zeilen treffen durchaus auf Zustimmung - auch wenn manche schon Schwierigkeiten haben mit Vokabeln wie “gerecht”. Das klingt automatisch nach Selbstgerechtigkeit, obwohl ja genau das Gegenteil gemeint ist.

Pa. “Wer Ohren hat, der höre”, pflegte Jesus zu sagen. Hier muß man sinngemäß abändern und formulieren: “Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.”
Habe ich etwa behauptet, daß wir aus uns selbst heraus, wegen irgendeiner Tat oder Qualifikation gerecht seien? Im Gegenteil: Ich habe betont, dass wir aufgrund des Glaubens - Achtung! - “für gerecht erklärt worden sind”.

Für diejenigen, die langsam sind im Begreifen, wiederhole ich es mit anderen Worten: Gott schenkt uns seine Liebe in Jesus Christus, und wir nehmen sie an. Darauf vertrauen wir. So ist das zerstörte Verhältnis zu Gott wiederhergestellt.

Pf. Danke, Paulus! Ich möchte aber nicht, daß du die Leute für blöd hältst, nur weil wir heute in kürzeren Sätzen reden und schreiben als ihr damals. Wir müssen nicht, wie du an anderer Stelle formulierst, Milch trinken; wir können durchaus schon feste Nahrung zu uns nehmen.

Pa. Umso besser! Dann ergibt sich der zweite Gedanke doch wie von selbst: Leben wir im Glauben und also in einem bereinigten Verhältnis zu Gott, dann wirkt sich das selbstverständlich auf unsere gesamte Lebensführung aus; denn die ist ja geprägt von Vertrauen auf Gott und Respekt gegenüber seinem Willen. Ja, mehr noch: Leben wir in der bewussten Nachfolge Christi, dann gehen wir auf den Tod zu als auf ein Durchgangsstadium, das alles hinter sich lässt, was unser Dasein im Hier und Jetzt ausmacht, aber die Teilhabe an Gottes Herrlichkeit vor sich hat.

Pf. Das ist, lieber Paulus, ein Gedanke, der zwar eine gewisse innere Logik für sich in Anspruch nehmen darf, den zu denken uns dennoch schwer fällt - schon weil kaum jemand mit einem so großen Wort wie “Herrlichkeit Gottes” etwas anzufangen weiß.

Pa. Das ist in hohem Maße bedauerlich. Das ist, als wollte man von Musik sprechen und kennte sich bei den großen Meistern nicht aus, hat also keinen tauglichen Vergleich. Das ist, als wollte man über Malerei reden und weiß nicht einmal, was Farben sind - geschweige denn Techniken und Kniffe der Könner. Die Herrlichkeit Gottes - ich kann sie natürlich auch nicht beschreiben. Nicht umsonst heißt es in der Schrift, daß niemand Gott schauen und am Leben bleiben kann. Aber die Wucht, die Ehre Gottes - wie immer man es nennt - ist nun einmal das, was das Gottsein Gottes ausmacht, seine Kraft, seine Erhabenheit, sein Wirken.

Pf. Okay. Wir haben, denke ich, eine nebulöse Ahnung davon. Zwar nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir reden viel lieber vom Reich Gottes und meinetwegen vom Paradies. Wir haben uns angewöhnt, vom “Allmächtigen” zu sprechen, obwohl dies auch schon wieder so ein Problem aufmacht, das ich hier besser nicht vertiefen möchte. Sagen wir mal: Der erste Teil deiner fünf Verse spricht uns zwar nicht direkt aus dem Herzen, aber wir können uns darauf einlassen. Aber dann kommt es doch so dicke, daß ich mich nicht trauen würde, damit auf die Straße zu gehen - wir sind doch keine Zeugen Jehovas!

Pa. Nun mal langsam! Was haben denn meine Worte und diese Scharlatane miteinander zu tun? Ich spreche von Freude. - Die Sektierer hausieren doch nur mit dem angeblich drohenden Endgericht und den Fensterplätzen auf Wolke 7 für die, die alles schlucken und mitmachen, was der Wachturm-Konzern propagiert!

Pf. Whow! Deine scharfe Abgrenzung gegen diese billige Masche gefällt mir genauso gut wie deutliche Worte von Christenmenschen gegen Menschenfeindlichkeit und Rassismus, die in der Kirche nichts zu suchen haben, weil sie mit unserem Glauben an den Gott der Liebe unvereinbar sind. Aber du sprichst davon, daß es eine Freude sei, eine Not zu durchleben.

Wir sehen die Not vor unserer Haustür - Bedürftige, die jeden Dienstag unsere Kirche betreten, um bei “Laib & Seele” Unterstützung zu suchen.
Wir sehen die Not der Geflüchteten, die Not der Ausgegrenzten, die Gefahr, in der sich manche befinden, die nichts anderes tun, als unseren demokratischen Rechtstaat am Laufen zu halten - und vieles mehr.
Wir sehen so viel Not - und leben selber weitgehend sorgenfrei.
Da wäre es doch geradezu zynisch zu sagen: “Not lehrt durchzuhalten.”

Pa. Und doch ist es genau so. Natürlich nicht von selbst. Und ich will auch nicht gesagt haben, daß Not etwas ist, das man sich wünschen sollte. Das widerfährt einem. Und jetzt kommt es: Vom wem widerfährt uns das, was wir erleben?
Ich bin überzeugt, daß Gott uns - nicht jedes Mal, aber immer mal wieder - auf die Probe stellt, unseren Glauben stärken will, indem dieser vor eine Bewährungsprobe gestellt wird. Damit wir daran wachsen und vor allem nie vergessen, daß Gott alles in allem ist, immer und überall.

Pf. Noch einmal zum Mitschreiben: Du behauptest nicht, dass wir Christen uns darüber freuen - oder zu freuen haben -, dass wir leiden müssen.

Pa. Ich spreche von Not, nicht von Leiden. Das hat miteinander zu tun, ist aber nicht dasselbe.

Pf. Und wenn wir in Not geraten, dann ist selbst dies eine Quelle der Freude, wenn und sofern diese Not uns sozusagen reifen läßt.

Pa. Wer die Erfahrung macht, dass er eine Durststrecke durchstehen kann, dass er seine Prinzipien nicht über Bord wirft, sobald er mal die Komfortzone verlassen muss - ja, der geht gestärkt aus dieser bedrückenden Situation hervor. Davon bin ich überzeugt.

Pf. Meinst du, wir Christen von heute scheuen das Kreuz?

Pa. So pauschal würde ich das nicht sagen. Es gibt genug Christenmenschen auf dieser Erde, die es sich eine Menge kosten lassen, sich zu ihrem Glauben, zu ihrem Gott zu bekennen. Denkt doch mal an Nigeria, aber auch an Indonesien, an die arabischen Länder, an Iran!

Pf. Mit den Menschen dort würde von uns wohl niemand tauschen wollen, wenn wir ehrlich sind.

Pa. Von außen betrachtet, ist das absolut nachvollziehbar. Wer wählt schon freudig den Weg des Martyriums?! Auch Christus hat gebetet, daß der Kelch an ihm vorübergehen möge. Doch dann ist er um unseretwillen in den Tod gegangen - und auferweckt worden. Das ist der Grund unseres Glaubens - eine Hoffnung, die über den Tod hinaus reicht! Ihr habt doch auch eure Glaubenshelden, die immer wieder als leuchtende Beispiele genannt werden: Ein Dietrich Bonhoeffer, ein Paul Schneider, Pater Kolbe, ein Oscar Romero oder Martin Luther King sind doch wohl nicht umsonst gestorben?!

Pf. Im Gegenteil: Sie lehren uns, worauf es ankommt, wenn es ernst wird mit dem Glauben. Sie gerieten in Not, der sie hätten entgehen können, und haben sich bewährt. Sie konnten ihr Leben nicht retten, aber sie haben uns gezeigt, daß man sich dem Bösen entgegenstellen, dass man - biblisch gesprochen - die Werke des Teufels zerstören kann. Sie haben die Hoffnung veranschaulicht, daß es mehr gibt im Leben, als ein möglichst angenehmes Leben zu führen.

Pa. Deshalb sage ich: In unserer Hoffnung werden wir nicht enttäuscht. Denn Gott hat uns den Heiligen Geist gegeben und hat unser Herz durch ihn mit der Gewissheit erfüllt, daß er uns liebt.

Pf. Amen.


Stephan Schaar