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Jugendweihe und Currywurst
Mittwochskolumne von Paul Oppenheim
Der Weg vom Hotel zum Tagungsort, dem Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt, führte mich die berühmte Friedrichstraße entlang. Sonnabendmorgens fielen mir festlich gekleidete Jugendliche auf, die in Begleitung ebenfalls festlich gekleideter Erwachsener vor dem Friedrichstadtpalst eine kompakte Menge bildeten. Etliche hielten Blumen in der Hand. Es herrschte gute Laune, fröhliche Erwartung war spürbar. Wegen der Menschenmenge musste ich auf den Fahrweg ausweichen.
Flüchtig erblickte ich das Wort „Jugendfeier“ und begriff, dass da eine jener Zeremonien stattfinden sollte, mit der Jugendliche in feierlicher Atmosphäre „die Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsenwerden überschreiten“ und die besondere Aufmerksamkeit ihrer Familien genießen dürfen. 35 Jahre nach der Wiedervereinigung lebt die „Jugendweihe“ fort, breitet sich aus, gehört zu Deutschland.
Mittags packt mich die Lust nach einer Bockwurst mit Brötchen. Sie ist älter als die Currywurst und stammt ebenfalls aus Berlin. Ich mache mich auf die Suche. Weder am Hauptbahnhof, noch am Bahnhof Friedrichstraße finde ich, was ich suche. Die schlichte Bockwurst hat sich rar gemacht, vielleicht ist sie verschwunden. Dafür gibt es viel Vegetarisches, auch Veganes und allerlei Exotisches. Ist den Deutschen die Lust an der Wurst vergangen? Gehört sie bald nicht mehr zu Deutschland?
An der Ecke Friedrichstraße/ Unter den Linden gibt es den fantastischen Ausstellungsraum der Volkswagen-Gruppe. Automobile Ikonen aus den vergangenen Jahrzehnten locken viele Besucher an und auch ich bin begeistert. Ein Stückchen weiter zieht ein anderes Schaufenster meine Aufmerksamkeit auf sich. Der Werbeslogan verspricht den „Aufbruch in grenzenlose Abenteuer“.
Ich wage mich hinein und bewundere hinter den imposanten Karossen großartige Landschaftsbilder aus einer tropischen Region. „Es sind Elektroautos aus Vietnam“, erklärt mir die Verkäuferin. “Vor allem deutsche Teile werden darin verbaut, Bosch und so.“ Ab Herbst sollen diese Autos nach Deutschland kommen. Es gebe schon viele Interessenten. Ich staune, was so alles zu Deutschland gehört, und setze meinen Weg fort zur 75. Hauptversammlung des Reformierten Bundes.
Paul Oppenheim