O happy Day! - ''Zieht an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld…''

Predigt zu Kolosser 3,12-17 (Kantate)


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12 So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; 13 und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! 14 Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. 15 Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.
16 Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. 17 Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.
Kolosser 3,12-17

Liebe Schwestern und Brüder

Was gibt es Schöneres als eine Gemeinde, die kräftig und vielleicht sogar, wie hier, mehrstimmig singt. Da geht einem das Herz auf! Das bestätigen auch die, die der Kirche ansonsten eher entfremdet sind. Denn die Musik der Kirche behält eine ganz eigene Kraft, die weit über den Kreis der Kerngemeinde hinausreicht. Sie vermag, durch alle Schutz- und Trutzwälle der Seele hindurchzudringen und Menschen anzurühren, anzurühren in ihrer vielleicht längst begrabenen Sehnsucht nach einer Welt, in der es anders zugeht als in dieser; wo man leben kann ohne ständige Selbst-oder Fremdkontrolle, ohne innere Leere, ohne die ständige Angst, nicht zu genügen.

Eine Gemeinde, die gern singt, bringt etwas von dieser Welt zum Klingen. Die unterschiedlichsten Stimmen fügen sich alle zu einem großen Lobgesang Gottes zusammen, selbst die Brummer müssen nicht schweigen und ein paar falsche Töne senden sich im großen Zusammenklang weg. Das Wichtigste ist die Freude, die sich beim Singen ausbreitet. Sie verändert oft auch die Gesichter der Sängerinnen und Sänger. und der Glanz selbstvergessener Hingabe breitet sich auf ihnen aus. Der Gesang befreit ihre Kehle - biblisch verstanden auch die Seele -von aller Enge, der Mund öffnet sich weit. Alle Lasten des Alltags fallen ab. Wer singt wird frei! Und aus der Vielfalt der Klangfarben wird ein harmonisches Ganzes. Gemeinde als Resonanzkörper für Gottes vielfältige, für seine bunte Gnade – dieser Gedanke steht auch hinter dem Titel des europäischen Liederbuchs „Colours of Grace.“

Und wenn wir in unserem heutigen Predigttext aufgefordert werden, das Wort Christi reichlich unter uns wohnen zu lassen, so bietet gerade auch die Musik dafür einen guten Ort. Sie bewahrt den Schatz des Glaubens über Generationen hinweg und macht ihn für Menschen ganz unterschiedlicher Denkweisen zugänglich. In den Kantoreien singen auch Skeptiker mit innerer Anteilnahme sehr fromme Sätze und die coolsten Jugendlichen begeistern sich über den Tag, an dem Jesus alle Sünde abwusch (so lautet der Text von „o happy day“)

Vielleicht möchten Sie jetzt einwenden, dass die meisten das, was sie singen, so niemals nachsprechen könnten, geschweige denn bekennen könnten. Das mag sein. Aber Viele, und gerade die innigen Glaubenssätze kann man auch einfach  nur singen. Das geht uns doch auch so bei manchen Chorälen, die wir sehr lieben, deren Worte aber ganz und gar nicht mehr unseren Denk- und Redegewohnheiten entsprechen. „Ach Herr lass dein lieb Engelein, am letzten Tag die Seele mein in Abrahams Schoß tragen….“So reden wir nicht mehr. Trotzdem singen wir die Worte in großer Ergriffenheit.

Ohne den unsagbaren Glaubensüberschuss, den gerade geistliche Lieder lebendig halten, würden wir wahrscheinlich alle im wahrsten Sinne des Wortes  ver-„kümmern.“ Der berechtigte Kummer über den Zustand unserer Kirche und unserer Welt würde allen Jubel ersticken und höchstens noch Klagelieder zulassen. Und würde unser Glaube auf das reduziert, was wir mit nüchternem Verstand und ehrlichen Herzens sagen können, würde er wahrscheinlich schnell sehr arm, und auch viele Bibelworte gingen in ihrer fremdartigen Schönheit verloren.

„In aller Weisheit lehrt und lenkt einander mit Psalmen, Hymnen und geistgewirkten Liedern“ übersetzt Vs. 16 in unserem Briefabschnitt. Damit trägt sie als einzige der im Text angelegten Möglichkeit Rechnung, der geistlichen Musik einen hohen Stellenwert bei der Vermittlung des Glaubens zuzutrauen. Anderen Übersetzern scheint das offenbar so widersprüchlich, dass sie die Satzteile trennen und – auf den 1. Blick-  plausibler zuordnen. Dann heißt es lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.

Aber gerade die Zusammenordnung von Lehre, Ermahnung und Gesang erscheint mir nicht nur sehr treffend, sondern auch aktuell Denn es sind, wie gesagt, oft gerade die gesungenen Glaubenssätze, die auch kirchenfremde Menschen im Innersten ansprechen und sie etwas von der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes erfahren lassen. Und worauf sonst laufen biblisch verstanden alle Ermahnungen hinaus? Was anders lehrt die christliche Botschaft?..

Mit großen Worten, nämlich als „die Auserwählten Gottes, die Heiligen und Geliebten“ spricht auch unser Briefabschnitt seine Adressaten in Kolossä an, obwohl sie nur eine ganz gewöhnliche, noch dazu ziemlich zerstrittene Gemeinde. Aber in Gottes Augen besitzt sie eine hohe Würde. Vor jeder Ermahnung steht also die Erinnerung: Ihr seid mehr als das, was andere in euch sehen. Sie mögen euch an  Eurer Öffentlichkeitswirkung messen und den Stab über euch brechen. Aber weder ihr strenges Urteil noch eure eigenen Versagensängste ändern etwas daran: Ihr seid alle von Gott geliebte und bejahte Menschen.

Und wenn Ihr leidet an den Zuständen in Eurer  Gemeinde, wenn Ihr Euch aufreibt an ihren theologischen oder persönlichen Unzulänglichkeiten und Streitereien, wenn Ihr Euch Sorgen macht über die Zukunft der Kirche, denkt daran: Gott hat immer gewusst, wie es um sein Volk steht. Er hat es trotz aller seiner Schwächen erwählt und es bleibt ihm heilig, ganz gleich, in welcher Verfassung es ist!

Aber sobald die Botschaft von Gottes grenzenloser Liebe nicht mehr gesungen, sondern nüchtern  aufgeschrieben bzw. gepredigt wird, stößt sie auf Einwände aller Art. Soll sie wirklich auch denen gelten, die einem in der Gemeinde das Leben schwer machen? Und selbst wenn, wie soll man all das Ärgerliche aushalten, auf das man immer wieder stößt? Für Sie gehört dazu vielleicht besonders die liturgische Verlotterung vieler Gottesdienste, die schlecht vorbereiteten Lesungen und Predigten, oder die Oberflächlichkeit theologischer Entscheidungen der Gemeindeleitung und manche von Ihnen haben deshalb den Gemeindekontakt vielleicht schon ganz aufgegeben, und statt Gottesdienste zu besuchen hören Sie sich vielleicht lieber nur noch Bachkantaten an.

In Kolossä gab es andere, aber sicher nicht weniger gewichtige Ärgerpunkte. Das weiß der Apostel, der an die Gemeinde schreibt. Und er wiegelt nicht ab, so nach dem Motto: alles halb so schlimm. Aber er rechtfertigt auch nicht die Konsequenz, sich von der Gemeinde abzuwenden. Er fordert vielmehr ausdrücklich auf, einander zu ertragen und zu vergeben. Das ist eine ziemlich große Zumutung! Das wird er auch gewusst haben. Deshalb gibt er sich große Mühe zu erklären, wie das gelingen kann und er wählt dazu eine sehr anschauliche bildliche Rede. In den Zeilen vor unserem Briefabschnitt rät er, zuerst einmal die übliche Kampfausrüstung abzulegen. Dazu zählt er Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung und schandbare Worte, und meint damit sicher auch alle anderen vornehm getarnten Spielarten gegenseitiger Beschädigung mit, die wahrscheinlich eher zu unserem Repertoire gehören. Jedes Waffenarsenal, das dazu da ist, andere einzuschüchtern und sie fertig zu machen passt nicht zu einem Menschen, der sich auf Christus beruft. Aber als guter Seelsorger weiß der Apostel auch, wie belastend es für einen selber ist, es ständig mit sich herumzutragen, und wie viel Fantasie, Energie und Zeit dabei draufgeht. Er empfiehlt also stattdessen: „Zieht an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld …und über alles zieht an die Liebe, die da ist das  Band der Vollkommenheit.“

All das, was einen Christen, eine Christin wirklich gut kleidet, liegt durch Gottes gnädige Fürsorge in jeder Gemeinde parat. Dort  kann man sich die „Gewänder des Heils“ überziehen lassen und entdecken, dass man tatsächlich ein anderer sein kann als bisher: Freundlich statt immer nur mürrisch, barmherzig mit den Fehlern anderer statt gnadenlos kritisch, geduldig, wo man sonst das Handtuch geworfen hätte. Vielleicht fühlt man sich in der neuen Ausstattung auch erst einmal etwas fremd und beklommen und bewegt sich sehr einstudiert, wie die Konfirmandinnen und Konfirmanden letzten Sonntag in ihren feierlichen Sachen. Aber so wie die sich nach einer gewissen Zeit daran gewöhnt haben und sich sehr selbstverständlich anders bewegt haben, werden wir vielleicht auch mit den Kleidern christlicher Liebe irgendwann so vertraut, dass sich unser Umgang in und mit der Gemeinde tatsächlich ändert.

Veränderungen müssen in der Tat nicht immer von innen nach außen wachsen. Es geht auch umgekehrt, dass das Äußere das Innere beeinflusst, eine Erfahrung, die im Protestantismus mit seiner Geringschätzung der Äußerlichkeit oft aus dem Blick geraten ist.

„Zieht an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld…“

Wie der Chor der Gemeinde die Vielstimmigkeit braucht, um seine Schönheit zu entfalten, so braucht der gemeindliche Umgang miteinander alle diese verschiedenen Layers: Ohne Freundlichkeit kann Erbarmen schnell herablassend wirken und Menschen beschämen, und umgekehrt: ohne Erbarmen, ohne engagierte Anteilnahme behält Freundlichkeit etwas sehr Unverbindliches. Demut, sprich das Wissen um die eigene Bedürftigkeit ist nötig, um zu verhindern, dass Bedürftige durch die Hilfe gedemütigt werden. (Man denke nur an die Hartz VI Debatten!) Und schließlich braucht Sanftmut Geduld, damit bei Enttäuschungen nicht doch plötzlich der Kragen platzt. Das Ganze soll die Liebe zusammenhalten, die sich nichts vormachen lässt, aber trotzdem niemanden aufgibt, die nicht ihren eigenen Vorteil sucht, sondern andere stark macht. Aber so vielschichtig eingekleidet kann jeder sich und den anderen wirklich ganz neu entdecken und der Frieden in der Gemeinde kann wachsen.

Eine schöne Vorstellung, die dieser Briefabschnitt da entfaltet, nicht wahr? Aber läuft es in Ihrer Gemeinde so? Bei uns leider nicht. Die schönen Gewänder, in die uns Gottes Wort kleidet, kriegen im Alltag eben schnell wieder hässliche Flecken, zerreißen oder bleichen aus. Aber das Wunderbare ist: Am Sonntag im Gottesdienst liegen sie wieder frisch aus. Gott hat in jeder Gemeinde eine unerschöpfliche Kleiderkammer eingerichtet. Singend, hörend, betend und handelnd können wir also immer wieder neu in die Kleider des Heils schlüpfen und uns im Mantel von Gottes Gerechtigkeit bergen.

Und ich bin sicher: Eine Gemeinde, die ihre Schätze kennt und pflegt, wird auch Fremde anziehen. Sie wird im guten Sinn attraktiv, denn in ihr wird jeder etwas hören und erleben von der überschwänglichen Hoffnung, die sie bewegt und von der Erneuerungskraft Gottes, die jetzt schon erfrischt und heilsam verändert. Und wer weiß, vielleicht macht das manchen Kirchenfremden Lust, dazu zu gehören, gegen den Trend!

Amen

Predigt, gehalten vor einer Konferenz zur Revision der Perikopenordnung, Sonntag Kantate 2010

 


Sylvia Bukowski, Wuppertal