Öffne deinen Mund

Predigt zur Themenreihe ''Körperteile''


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Vom Anfang der Schöpfung bis zur Verkündigung des Evangeliums gebraucht Gott den menschlichen Mund, um sein lebendiges Wort hörbar zu machen – oft überraschend, manchmal unbequem, aber immer wirksam.

Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt! AMEN.

Liebe Gemeinde!

„Tritt frisch auf, tu’s Maul auf, hör bald auf!“ - soll Luther dem Prediger geraten haben; allerdings hat er sich, soweit ich weiß, selbst nicht daran gehalten, sondern seiner Zuhörerschaft eine Menge Geduld abverlangt. Und das in ungeheizten Kirchen ohne Sitzgelegenheit!

Da haben Sie es auf mancherlei Weise besser: Sie haben einen Stuhl, es ist hier nicht kalt, und die Predigt wird - ich verspreche es - nicht länger, als das heutzutage üblich ist.

Frisch auftreten will ich, so wie man das von mir kennt, und selbstverständlich verschweige ich nichts, sondern spreche aus, was es zu sagen gibt. Den wes das Herz voll ist, des geht der Mund über [Mat 1234], um Jesus zu zitieren.

Er ist, wie die Barmer Theologische Erklärung in ihrer ersten These kundtut, das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.

Dasselbe also wie jenes Wort, das am Anfang war, wie der Evangelist Johannes schreibt, und also auch dasjenige, von dem es im Deuteronomium [Dtn 3014] heißt: Nahe ist dir das Wort, in deinem Mund und in deinem Herzen, so dass du danach handeln kannst.

Gottes Wort wirkt: Er spricht, um das Nichtseiende ins Dasein zu rufen. Er legt sein Wort aber auch Menschen gezielt in den Mund, etwa Mose und Aaron [Ex 411f.]:

Da sprach der Herr zu ihm: Wer hat dem Menschen einen Mund gemacht, wer macht stumm oder taub oder sehend oder blind? Bin nicht ich es, der Herr? Und nun geh, ich selbst werde mit deinem Mund sein und dich lehren, was du reden sollst.

Damit nicht genug! Selbst Tiere fangen an zu reden, wenn es Gottes Wille ist [Num 22,28]: Der Herr öffnete der Eselin den Mund, und sie sprach zu Bileam: Was habe ich dir getan, dass du mich dreimal geschlagen hast?

Gott nennt Mose einen Menschen, mit dem er von Mund zu Mund rede(t) ....., offen und nicht in Rätseln [Num 128], und kündigt ihm künftige Propheten an [Dtn 1818]: Einen Propheten werde ich für sie auftreten lassen aus der Mitte ihrer Brüder, so wie dich. Und ich werde ihm meine Worte in den Mund legen, und er soll ihnen alles verkünden, was ich ihm gebieten werde.

Diesen späteren Kündern mutet er mitunter einiges zu. Ezechiel etwa berichtet [Ez 32f.]: Ich öffnete meinen Mund, und er ließ mich jene Rolle essen. Und er sprach zu mir: Mensch, gib deinem Bauch zu essen und fülle dein Inneres mit dieser Schriftrolle, die ich dir gebe! Da aß ich sie, und in meinem Mund wurde sie wie Honig, süß.

Danach verspricht ihm Gott [Ez 327]: Wenn ich zu dir spreche, werde ich deinen Mund öffnen, und du wirst ihnen sagen: So spricht Gott der Herr! Wer hört, wird hören, und wer es lässt, wird es lassen.

Vom Gottesknecht hingegen bekundet der Prophet Jesaja [Jes 537]: Er wurde bedrängt, und er ist gedemütigt worden, seinen Mund aber hat er nicht aufgetan wie ein Lamm, das zur Schlachtung gebracht wird, und wie ein Schaf vor seinen Scherern verstummt. Und seinen Mund hat er nicht aufgetan.

Doch wenn Gott etwas zu sagen hat, findet er stets einen Mund, der seine Worte ausspricht.

Anders die stummen Götzen [Ps 13516f.] : Sie haben einen Mund und sprechen nicht, haben Augen und sehen nicht. Sie haben Ohren und hören nicht, auch ist kein Atem in ihrem Mund. So spottet der Prophet Jesaja, und das hallt in den Psalmen wider.

Wenn Psalmbeter ihren Mund öffnen, dann zu allermeist, um Gott zu loben. So bekennt der Beter des 40. Psalms [Ps 404]: Er legte mir in den Mund ein neues Lied, einen Lobgesang auf unseren Gott. Viele werden es sehen und sich fürchten und auf den Herrn vertrauen.

Und im Psalm 66 [Ps 6617] heißt es: Zu ihm rief ich mit meinem Mund, und Lobgesang war auf meiner Zunge.

Als Johannes der Täufer geboren war, endete für seinen Vater Zacharias die Zeit seiner Stummheit; er hatte ja den Namen seines Sohnes auf eine Tafel schreiben müssen, weil er nicht sprechen konnte, und so für Erstaunen gesorgt. Doch dann heißt es [Lk 164]: Auf der Stelle tat sich sein Mund auf, und seine Zunge löste sich; und er redete und pries Gott.

Der Mund der Geliebten ist, wie wir im Hohen Lied der Liebe erfahren, ungleich anmutiger als jeder andere [Hld 43]: Wie ein Karmesinband sind deine Lippen, und lieblich ist dein Mund Wie die Scheibe des Granatapfels ist deine Schläfe hinter deinem Schleier.

Der Mund ist - selbstverständlich - nicht nur dazu da, etwas zu sagen oder unter Umständen auch zu singen, sondern ganz fundamental für die Nahrungsaufnahme und zum Trinken. Gesittete Menschen pflegen, wenn sie keinen Becher haben, die Hand zum Mund zu führen - und genau diese Mehrheit der Leute sollte ausgeschlossen werden, als es galt, eine kleine Freischärlereinheit zusammenzustellen, mit der Gideon das Volk Israel von den Midianitern befreien würde, so nachzulesen im Buch Richter [74-7]:

Der Herr sprach zu Gideon: Noch immer ist das Volk zu groß. Führ sie hinab ans Wasser, und dort werde ich sie für dich prüfen. Und jeder, von dem ich dir sagen werde: Dieser soll mit dir gehen, soll mit dir gehen. Jeder aber, von dem ich dir sagen werde: Dieser soll nicht mit dir gehen, soll nicht gehen. Und er führte das Volk hinab ans Wasser. Und der Herr sprach zu Gideon: Alle, die mit der Zunge das Wasser lecken, wie der Hund leckt, die stell zusammen, und so auch alle, die niederknien, um zu trinken. Und die Zahl derer, die leckten, indem sie die Hand zum Mund führten, war dreihundert Mann. Der ganze Rest des Volks aber hatte sich niedergekniet, um Wasser zu trinken. Und der Herr sprach zu Gideon: Mit den dreihundert Mann, die geleckt haben, werde ich euch retten und Midian in deine Hand geben; das ganze Volk aber soll gehen, ein jeder an seinen Ort.

Das sind, ich gebe es zu, Kuriositäten.

Wesentlicher wird es, wenn es um Speisen und deren Reinheit geht. Petrus ist hin und her gerissen zwischen dem Gebot, sich koscher zu ernähren, und der Herausforderung, die Frohe Botschaft auch mit Menschen außerhalb der jüdischen Gemeinschaft zu teilen. So bekennt er [Apg 118]: Gemeines oder Unreines ist noch nie in meinen Mund gekommen.

Der Apostel Paulus, einst untadelig in seinem jüdischen Lebenswandel, ein eifriger Pharisäer und Christenverfolger, hat sich nach seinem Damaskuserlebnis ganz auf die Seite derer geschlagen, die allein durch Christus mit Gott verbunden sind und also weder beschnitten zu werden brauchen noch an die Reinheitsgebote gebunden sind. Er urteilt [Röm 319]: Wir wissen: Was das Gesetz sagt, das sagt es denen, die mit dem Gesetz leben, damit jeder Mund gestopft werde und alle Welt schuldig sei vor Gott.

Den Mund zu halten oder zumindest zu hüten, ist eine wiederkehrende Ermahnung in der Weisheitsliteratur. Wir hörten schon einige dieser Ratschläge, aber ich möchte Ihnen aus der Fülle der Beispiele noch einiges weiterreichen. In den Sprüchen heißt es mahnend [Spr 2214]: Eine tiefe Grube ist der Mund fremder Frauen, wem der Herr zürnt, der fällt hinein.

Das könnte man beinahe als Ausrede anführen: “Der Herr hat mir gezürnt, deshalb...” Aber so ist es natürlich nicht gemeint. Wir müssen schon selbst Verantwortung übernehmen für unser Tun und Lassen. Der “Prediger” warnt [Koh 55]: Lass nicht zu, dass dein Mund dich in Schuld bringt, und sage nicht vor dem Boten: Es war ein Versehen. Warum soll Gott zornig werden über dein Reden und das Werk deiner Hände verderben?

Noch eine Spruchweisheit erlaube ich mir zu zitieren [Spr 1031f.]: Der Mund des Gerechten lässt die Weisheit sprießen, eine falsche Zunge aber wird abgeschnitten. Die Lippen des Gerechten wissen, was Gefallen findet, der Mund der Frevler aber weiß Dinge zu verdrehen.

Dem steht eine befreiende Erfahrung gegenüber, von der uns Jesaja [Jes 67] sagt: (Die Serafim mit den glühenden Kohlen) ließ er meinen Mund berühren, und er sprach: Sieh, hat das deine Lippen berührt, so verschwindet deine Schuld, und deine Sünde wird gesühnt.

Wer zum Glauben an Jesus Christus gekommen und also der Sünde gestorben ist - auch wenn wir Sünder bleiben, solange wir leben -, dem gilt die Aufforderung aus dem Kolosserbrief [Kol 38]: Jetzt aber legt auch ihr dies alles ab: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerrede und üble Nachrede, die aus eurem Mund kommt!

Das, liebe Geschwister, ist das Mindeste. Und es ist, das spüren wir täglich, zugleich das Schwerste. Denn unsere Kommunikationskultur ist verkommen, und wir müssen uns hüten, uns dem Schema dieser Welt anzupassen, in dem Schmähungen nicht mehr die Ausnahme sind, womöglich durch einen emotionalen Notstand ausgelöst, sondern die wohlkalkulierte Normalität von Menschen, denen es darum zu tun ist, uns zu entzweien - und die selbst einen rechtsradikalen Hetzer noch einen christlichen Aktivisten nennen.

Das Vornehmste Wort in unseren Mündern, liebe Gemeinde, ist das Bekenntnis unseres Glaubens - nicht unbedingt in den überlieferten Worten unserer Väter und Mütter, sondern so, wie es uns spontan über die Lippen geht. Nicht auf wohlfeile Formulierungen ist Gott aus, sondern - so Paulus im Römerbrief [Röm 109f.]- darauf kommt es ihm an: Wenn du mit deinem Mund bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet werden. Mit dem Herzen nämlich glaubt man, auf Gerechtigkeit hin; mit dem Mund bekennt man, auf Rettung hin.

Das ist gewisslich wahr.


Stephan Schaar