Wem gehört das Heilige Land?

Predigt zu Josua 2 und 6


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Alte Texte erzählen von göttlicher Landverheißung und gewaltsamer Einnahme – Erzählungen, die bis heute herausfordern. Doch jenseits der Kriegsgeschichten öffnet die Bibel auch den Blick für eine andere Vision: ein Land der Gerechtigkeit, des Teilens und der Gottesnähe.

„From the river to the sea – Palästina will be free.“ - So steht es auf propalästinensischen Plakaten.

„Dieser Ort gehört uns.“ - So kommentierte Netanjahu vor kurzem den Bau von 3.400 israelischen Wohnungen im Westjordanland.

Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und die ihn bewohnen.

Wem gehört die Ukraine? Was kostet Grönland? Wer darf wohnen in Europa?

Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und die ihn bewohnen.

Einverstanden. Gott gehört die Erde. Ihm machen wir sie nicht streitig. Aber wie hat er sie unter die Menschen verteilt? Wem hat er die einzelnen Länder versprochen?

Was für eine seltsame Frage! Beweist sie vielleicht den Vorwurf, Religion sei die Ursache von Kriegen? Nach wie vor bestätigen religiöse Führer und Akteure dies: muslimische Dschihadisten, israelische Siedler, der russisch-orthodoxe Patriarch. Vor allem die heiligen Texte der abrahamitischen Religionen gelten in der Religionskritik als Beweis für Gewaltverherrlichung im Namen Gottes. Die politische Wissenschaft sieht das differenzierter. Aber auf den heutigen Predigttext aus dem Buch Josua hätte ich lieber verzichtet. Und ich nehme an, Sie auch. Er gehört zu den biblischen Erzählungen von der Land-Nahme. Von der Land-Einnahme …

Lied 611:

Der Himmel geht über allen auf,

auf alle über, über allen auf.

Die Israeliten stehen nach der langen Wüstenwanderung östlich des Jordans. Ihr Ziel ist es, das Westjordanland in Besitz zu nehmen. Das von Gott versprochene Land, in dem Milch und Honig fließen. Den Vätern seit Urzeiten verheißen.

Zwei Spione werden ausgesandt, um die Lage zu sichten. Denn – das Land ist mitnichten unbewohnt. Und so nächtigen die beiden im Haus einer Frau namens Rachab. Dem König von Jericho bleibt das nicht verborgen. Er möchte, dass ihm die Männer ausgeliefert werden. Aber Rachab behauptet, die hätten bei Einbruch der Dunkelheit die Stadt wieder verlassen. In Wirklichkeit versteckt sie sie auf dem Dach ihres Hauses unter Strohballen. Ein klarer Fall von Landesverrat. Dafür versucht sie sich freilich zu rechtfertigen: „Ich weiß, dass der Herr euch das Land gegeben hat und dass uns der Schrecken vor euch befallen hat und alle Bewohner des Landes vor euch zittern. 10Denn wir haben gehört, dass der Herr das Wasser des Schilfmeers vor euch ausgetrocknet hat, als ihr auszogt aus Ägypten … denn der Herr, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf der Erde.“

Aha, kein Landesverrat? Der Zweck heiligt da die Mittel. Die Frau aus Jericho hilft den israelitischen Eindringlingen, weil sie an den fremden Gott Jahwe glaubt und an seine Hilfe für das von ihm erwählte Volk. Ist sie also eine Heldin des Glaubens, eine bekehrte Bekennerin des wahren Glaubens? Wahrscheinlich soll sie als ein solches Vorbild hingestellt werden.

Aber nicht mit mir!

Sie passt sich einfach nur klug der neuen Situation an, weil sie mutmaßt, dass die Eroberer Erfolg haben werden. Und weil sie sich für die Zukunft absichern will. „12Nun aber schwört mir beim Herrn, sagt sie, … ihr sollt mir ein verlässliches Zeichen geben, 13dass ihr meinen Vater, meine Mutter, meine Brüder und meine Schwestern und alle, die zu ihnen gehören, am Leben lasst und uns rettet vor dem Tod.“

Das wird der Frau gerne zugesichert. Sie soll, wenn die Israeliten in Jericho einfallen, eine rote Schnur aus dem Fenster hängen, damit sie verschont wird. Unversehrt kehren die Spione mit allen wichtigen Informationen über die Stadt ins Lager zurück. Bald werden die Soldaten Jericho und das ganze Land einnehmen können.

Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und die ihn bewohnen.

Sie wissen, wie es weitergeht. Die Geschichte von der Einnahme Jerichos kennen Sie wahrscheinlich seit Kindergottesdienstzeiten. Siebenmal umrunden die Israeliten mit der Bundeslade die mächtigen Mauern der Stadt. „16Beim siebten Mal aber bliesen die Priester die Hörner, und Josua sprach zum Volk: Brecht in Kriegsgeschrei aus, denn der Herr hat euch die Stadt gegeben. … und die Mauer fiel in sich zusammen, und das Volk stieg zur Stadt hinauf, ein jeder, wo er gerade war, und sie nahmen die Stadt ein.

Ist das nun zur Sage gewordene Geschichte oder fiktive Literatur?

Das Josuabuch stammt in seiner endgültigen Fassung aus der Zeit um 500 v. Chr. Die erzählten Ereignisse werden im Buch auf die Zeit um 1400 v. Chr. datiert. Und so wie heutige Reisende haben die Verfasser und Leser vielleicht selbst die Ruinen in Jericho sehen können. Beeindruckende Mauerreste. Aber am beeindruckendsten für uns heute ist, dass sie viel, viel älter sind als die biblische Chronologie behauptet. Inzwischen konnten die Archäolgen sie bis in die Zeit um 8000 nachweisen, die Ansiedlung reicht sogar noch einmal 2000 Jahre weiter zurück. Und noch etwas haben die Archäologen herausgefunden. Die Reste aus den Jahrtausenden tragen keine Spuren militärischer Gewalt. Besiedelt war das Gebiet von wechselnden kanaanitischen Bevölkerungsgruppen nacheinander und nebeneinander.

Im Josuabuch lese ich anderes:

„17Und die Stadt soll mit allem, was darin ist, der Vernichtung geweiht sein für den Herrn. Nur Rachab, die Hure, soll am Leben bleiben, sie und alle, die bei ihr im Haus sind, weil sie die Boten versteckt hat, die wir ausgesandt hatten. …

21Und alles, was in der Stadt war, weihten sie der Vernichtung mit der Schärfe des Schwerts, Mann und Frau, Jung und Alt, Rind, Schaf und Esel. … 25Die Hure Rachab aber und das Haus ihres Vaters und alle, die zu ihr gehörten, ließ Josua am Leben. Und [die Familie] blieb in Israel wohnen bis auf den heutigen Tag, weil sie die Boten versteckt hatte, die Josua ausgesandt hatte, um Jericho auszukundschaften.“

Ach – Gib Frieden, Herr, gib Frieden!

Lied 430, Strophe 1

Gib Frieden, Herr, gib Frieden,
die Welt nimmt schlimmen Lauf.
Recht wird durch Macht entschieden,
wer lügt, liegt obenauf.
Das Unrecht geht im Schwange,
wer stark ist, der gewinnt.
Wir rufen: Herr, wie lange?
Hilf uns, die friedlos sind.

Rufen wir in diesem Lied einen anderen Gott an als den, der in der Josua-Erzählung präsentiert wird? Ja, so ist es. Und missachten wir dabei die Bibel? Nein. Denn ihre Gottesbilder sind vielfältig und unterschiedlich. Und ihre Verfasser sind keine zeitlosen Propheten. Ihr Denken ist geprägt von ihrer Erziehung und den Moralvorstellungen ihrer Zeit. Wie unseres. Also: ganz anders! Die Rede von einem allmächtigen Gott im Josuabuch überträgt die Eigenschaften der Könige und Feldherrn ins Absolute. Und nur ein allmächtiger Herrscher und Feldherr im Himmel kann – so die Tendenz – die Probleme auf der Welt lösen. Mit kriegerischer Gewalt.

Ein solches Gottesbild steht hinter den Erzählungen von der Land-Nahme. Dabei verkehren diese die reale Welt der Verfasser in ihr Gegenteil. Ein israelitisches Reich mit einem mächtigen Herrscher gab es zwischen Ägypten und Mesopotamien zu keiner Zeit. Die Helden und Krieger sind literarische Gestalten. So wie die Figur eines König David. Die Land-Nahme-Geschichten sind erwachsen aus der Sehnsucht, dass die israelitischen Einwohner der südlichen Levanthe sich von Fremdherrschaft und gewalttätiger Umsiedlung befreien könnten. Von der Willkürherrschaft der Assyrer um 700 und der der Babylonier um 500. Die Vision vom Heiligen Land, das Gott seinem Volk verheißen hat und das er sie besitzen ließ, soll über die trostlose Realität hinwegtrösten. So lassen sich die biblischen Geschichten einordnen. So muss man sie verstehen. Aber akzeptieren kann ich sie trotzdem nicht. Da wird erlittenes Unrecht umgekehrt in den Anspruch eines Rechts auf Gewalt. Werden paläsinensische und israelitische Hardliner jemals darauf darauf verzichten? Der so genannte Friedensplan von Donald Trump klammert auf jeden Fall die Frage nach einer Zwei-Staaten-Lösung aus. Das Land wird umstritten bleiben. Und abhängig vom Diktat ausländischer Mächte.

Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und die ihn bewohnen.

Und wem gehört nun das Heilige Land?

Ich will biblische Antworten suchen und versuchen.

  1. Das Heilige Land gehört denen, die es erfahren. Wir lesen mit Schrecken die alten Erzählungen von der gewaltsamen Land-Nahme. Das Land der Verheißung ist aber in der Bibel vor allem bestimmt als ein imaginärer Ort der Gottesbegegnung.

Jakob träumt von der Nähe Gottes auf seiner Flucht. Vom Boden seines Schlafplatzes erhebt sich die Leiter in den Himmel. Dafür setzt er einen Gedenkstein, bevor er weiterzieht.

Mose erfährt von der Nähe Gottes in der Wüste, auch er ein Ortloser. Den Boden, auf dem sich Gott offenbart, darf man nur mit bloßen Füßen betreten und nicht besitzen.

Die Israeliten müssen von der Nähe Gottes überzeugt werden. Auf den Sinai steigt Jahwe herab und schenkt die 10 Gebote. Sie bleiben jedoch nicht dort, sondern werden in der Bundeslade von dem wandernden Volk weitergetragen. Ein „portatives Vaterland“ nennt Heinrich Heine deshalb die Bibel. Ihre heiligen Orte sind geistlich. Man kann sie nicht dingfest machen. Auch wenn die geographischen Namen Markierungen für Erinnerung und Gedenken schaffen.

  1. Das Heilige Land gehört denen, die es mit anderen teilen. Es ist nur geliehen. Niemand darf darauf dauerhaft privaten Besitz für sich anhäufen. Es dient dem Lebensunterhalt für alle. Und deshalb verlangt das Gebot des Sabbatjahres Schuldenerlass und Umverteilung von Grund und Boden. Auch für das Land gilt eine Schöpfungsruhe. Alle sieben Jahre muss es zurückgegeben werden und dann 12 Monate brach liegen. Ein biblisches Gebot!

  2. Das Heilige Land verlangt heilige Bewohnerinnen und Bewohner. „Ihr sollt heilig sein, denn ich, euer Gott, bin heilig.“ So steht es wiederholt im 3. Buch Mose. Und im 5. Gebot wird die Pflichterfüllung zur Bedingung für das Wohnrecht der Verheißung. „Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Land, das dir der Herr geben wird.“ Alle, die die Geschichten von der Land-Nahme schrieben und hörten, hatten das schmerzlich vor Augen. Gerade weil es kein wirklich freies und selbst verwaltetes Land für die israelitische Bevölkerung gab, wird die Utopie einer Land-Nahme in der Bibel so eindringlich erzählt. Und wird dabei zur permanenten Bußpredigt. ‚Ihr habt das Land eurer Vorfahren verloren, weil ihr nicht heilig wart. Weil ihr die Witwen und Waisen nicht geschützt habt, weil ihr anfällig wart für Besitzgier und Korruption, weil ihr eure Bundestreue gegenüber Gott verlachlässigt habt.‘ So lesen wir es als Selbstkritik bei den Propheten.

Wenn man all dies mitdenkt, kann man die Theologie des Heiligen Landes verstehen. Vielstimmig wird sie in der Bibel vorgetragen. Glücklicherweise nicht nur in kriegerischen Fantasien. Eine andere Vision höre ich aus den Gottesknecht-Liedern im Jesaja-Buch (K.42). Sie besingen eine Befreiung ohne Gewaltexzesse.

1Seht, das ist mein Knecht,
zu dem ich stehe.
Ihn habe ich erwählt,
und ihm gilt meine Zuneigung.
ch habe ihm meinen Geist gegeben.
Er sorgt bei den Völkern für Recht.
2Er schreit nicht und ruft nicht laut.
Seine Stimme schallt nicht durch die Straßen.
3Ein geknicktes Schilfrohr
zerbricht er nicht.
Einen glimmenden Docht löscht er nicht aus.
Er bleibt seinem Auftrag treu und sorgt für Recht.
4Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen,
bis er auf der Erde das Recht durchgesetzt hat.
Sogar die fernen Inseln
warten auf seine Weisung.

Der Gottesknecht – ein MENSCH mit Gottes „Zuneigung“, Bewohner und Bewohnerin des Heiligen Landes, wo auch immer es gerade für Momente aufscheint. Recht ist dort die Losung und nicht Gewalt. Voll Sehnsucht sind die Blicke der ganzen Erde dorthin gerichtet, voll verzweifelter Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit. Höchste Tugend ist Geduld und Unermüdlichkeit. Und die Kraft, das bis auszuhalten, die endlos scheinende Spanne bis zur Vollendung. „4Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde das Recht durchgesetzt hat.“

Voll Sehnsucht blicken auch wir auf das unheilige geteilte Land. Hoffnung scheint in Sicht. Aber Ängste bleiben. Kann es den Angehörigen der Geißeln und den Familien der Kriesgsopfer in Gaza gelingen, an eine gewaltlose Zukunft zu glauben? Wird über dem Jubel der Geretteten das Leid der Verwaisten und Verwitweten vergessen werden? Werden die Friedensvermittler in den arabischen Ländern, in Europa und in den USA uneigennützig und politisch weitblickend handeln? Werden wir es erleben, dass Palästina und Israel zu einem Beispiel werden dafür, dass Frieden in Gerechtigkeit mehr ist als ein erzwungener Verzicht auf Gewalt?

Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und die ihn bewohnen.

Wir wünschen Jerusalem Frieden – Schalom – Salam. AMEN


Vgl. Jacobus Cornelis de Vos: Heiliges Land und Nähe Gottes. Wandlungen alttestamentlicher Landvorstellungen in frühjüdischen und neutestamentlichen Schriften. Göttingen 2012


Gudrun Kuhn (Nürnberg) nach Anregungen von Selma Dorn (Stuttgart)