Wer seid ihr? Tharah oder Abraham?

Predigt zu Genesis 11, 26 – 12, 4. Von Rolf Wischnath

"Was unterscheidet seinen Sohn Abram vom Vater Tharah? Nichts als das offene Ohr."

Die erste Predigt aus der Reihe:
"Herausgerufene - Gottes befremdliche Aufträge" -
Predigt-Gottesdienst nach reformierter Tradition in der Antoniterkirche, Köln 2011.
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Wer wissen will, wer Abraham ist, muss wissen, wer Tharah war. Ich lese den Text von der Berufung Abrahams, 1. Mose 12, 1 – 4. Übersehen wird  aber meist die Vorgeschichte, die zu dieser Berufung gehört, die Geschichte von Abrahams Vater Thara 1. Mose 11, 26 – 32 :

„Als Tharah siebzig Jahre alt war, zeugte er den Abram, den Nahor und den Haran. Und dies sind die Nachkommen Tharahs: Tharah zeugte den Abram, den Nahor und den Haran; und Haran zeugte den Lot. Haran aber starb bei Lebzeiten seines Vaters Tharah in seiner Heimat, zu Ur in Chaldäa. Da nahmen sich Abram und Nahor Frauen; Abrams Frau hieß Sarai, und Nahors Frau hieß Milka, die Tochter Harans, des Vaters der Milka und der Jiska. Sarai aber war unfruchtbar; sie hatte keine Kinder. Da nahm Tharah seinen Sohn Abram und seinen Enkel Lot, den Sohn Harans, und seine Schwiegertochter Sarah, die Frau seines Sohnes Abram, und führte sie hinweg aus Ur in Chaldäa, um ins Land Kanaan zu ziehen; und sie kamen bis Haran und ließen sich dort nieder. Und Tharahs Lebenszeit betrug 205 Jahre; dann starb Tharah in Haran. – Gott der Herr aber sprach zu Abram: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ Da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte.“ (Lutherübersetzung / Zürcherübersetzung – ältere Fassung)

Zunächst ist das eine dröge Geschichte. Eine ziemlich dröge Männer- und Familiengeschichte. Der Vorgesetzte dieser „Familienbande“ ist Tharah. Er hat die Verantwortung. Er macht und tut. Vor allem zeugt er in vorgerücktem Alter - mit siebzig und mit Erfolg: drei Söhne; Abram war der erste von ihnen. Dass Tharah in diesem Alter noch zeugungsfähig war, wird hier gleich zweimal berichtet. Wer, welche Frau ihm diese Knaben geboren hat, wird nicht berichtet. Tut nichts zur Sache - zur Männersache. Das andere, was außer dem Tod seines jüngsten Sohnes zu seinen Lebzeiten und seinem eigenen Tod als wichtiger Aktivposten aus seinem Leben berichtet wird, ist, er – Tharah, der Stammvater - habe sich in den Kopf gesetzt, ins gelobte Land zu ziehen, ins Land der Zukunft, der Gerechtigkeit und des Friedens - nach Kanaan. Wie macht er das? Nun, hier steht es: Er nahm Abram, er nahm Lot, er nahm Sarah. Er nahm, er plante, er organisierte. Und dann ging er los. Nur: Er kam leider nicht an. Er blieb auf halbem Weg stecken - „und ließ sich nieder“ in Haran, so wie viele Männer - und Frauen - stecken bleiben und scheitern, sich niederlassen, den Aufbruch abbrechen und ihre Pläne verwelken lassen und die Ziele zurücknehmen (re-signieren) - in mancherlei Harans.

Haran ist die Etappe. Mitten zwischen Ur und dem gelobten Land; Haran, auch ein nettes Städtchen. Haran kann überall sein. „ .... und ließen sich dort nieder “, heißt es. 205 Jahre alt ist Tharah geworden. Zeit genug. An Zeit fehlte es ihm nicht. Er hätte wohl so alt werden können wie Methusalem, 969 Jahre, und wäre doch in Haran geblieben, ein „niedergelassener“ - unbewegt, nur immer grauer und greisiger.

Tharah - mein Güte, wer ist Tharah? Bin ich wie Tharah? Bist Du wie Tharah? Seid Ihr wie Tharah, hörende Gemeinde? Leser dieses religiösen Blattes? Tharah - sein Name lädt hebräisch zum Wortspiel ein. „Tara“ das ist unter Kaufleuten neben Brutto und Netto eine Gewichtsgröße: das Verpackungsgewicht. Tara, die Hülle. Nichts als Verpackung. Seifenblasen. Ein Plänemacher - wohl wahr, aber einer, der auf halbem Wege stehen bleibt, sich niederlässt, re-signiert: in Haran - unbewegt. Verpackung. Pappe! Nichts mehr los.

Was unterscheidet seinen Sohn Abram vom Vater Tharah? Nichts als das offene Ohr. Abraham hatte ein Ohr, das die Verheißung hört und darum das Ziel kennt, die Verheißung Gottes: „Geh aus deinem Vaterland - also aus dem Land dieses Vaters - und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus - geh weg von diesem Vater - in ein Land, das ich dir zeigen werde.“ Das hört Abram, weil er seine Ohren offen hält, weil er seinen Blick hinauswagt, um dem Fingerzeig Gottes zu folgen in ein Land, das so ist, wie ein Land sein muss, in dem Gott wohnen will: gottvoll, lebensvoll, friedsam, gerecht und heilend. Darum kam er an.

Wem aber die Haare aus den Ohren wachsen, wem die Ohren verwachsen, wer nicht mehr, wer gar gar nicht hören will, muss fühlen, bleibt auf Dauer bei sich selbst - und in Haran. Haran ist auch nicht schlecht. Man kann es da nett haben, es zu Lebensglück, zu Wohlstand, zum Häuschen und geordneten Verhältnissen bringen. Mit siebzig gar noch Knaben zeugen. Warum auch nicht? Kein schlechter Ort für Leute, die auf der Strecke bleiben und sich niederlassen, annehmbar für alle, die sonst nichts weiter wollen als immer dasselbe, die immer gleich Szene, in der sie sich eingerichtet haben. Haran ist die Szene für die, die aufgehört haben zu hören auf die Stimme eines anderen, auf die Stimme des Lebens und des Aufbruchs, des Friedens und der Gerechtigkeit, auf Gottes lebendige Stimme.

Abram hat dieser Versuchung nicht nachgegeben, obwohl sein Vater Tharah doch alles für ihn besorgt und gerichtet hat. Darum kam er - in der Trennung von diesem „Vater-Lande“ - an im gelobten Land. Wunderbar. Darum kam er sogar noch weiter: Abram kam bis zur großen Vision, bis zum Glauben an den Gott, der mit ihm redete wie mit einem Freund und ihm das gelobte Land versprochen hat. Abraham kam bis zu diesem Glauben. Und weiter kann man in der Tat nicht kommen! In seinem ganzen Leben kann man nicht weiterkommen als bis zum Glauben. Zum Glauben kann man allerdings auch kommen, wenn man sein ganzes Leben lang an einem Ort bleibt. Entscheidend ist nicht, wo man wohnt und bleibt. Entscheidend ist, ob man da, wo man wohnt und bleibt, der Versuchung erliegt, sich niederzulassen, sich abzufinden mit dem immer gleichen - oder ob man zum Glauben kommt und im Glauben immer wieder neue Aufbrüche und Szenenwechsel wagt. Man darf sich nur nicht niederlassen und sich abfinden mit der Etappe, mit dem was auf halber Strecke so kümmerlich vor Augen ist. Was ist der Glaube? Im Hebräerbrief heißt es:

„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Und wie so ein Glaube im Lebenslauf praktisch wird, exemplifiziert der Hebräerbrief am Vater und an der Mutter des Glaubens: „Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte“ (Hebräer 11, 1. 8-11).

Nein, weiter kann man nicht kommen. Und besser kann man’s nicht haben. Eine bessere „Szene“ für’s Leben gibt es nicht. Denn auf etwas Besseres als auf die Stadt, die einen festen Grund hat und deren Baumeister und Schöpfer Gott ist, zu warten und zu achten, ist nicht möglich. Und etwas Besseres, als den für treu zu erachten, der es verheißen hatte, kann man nicht glauben. Ach, könnten wir doch so glauben und schauten wir doch aus nach dieser Stadt, besser noch: wären wir doch endlich in ihr, nicht in Haran, sondern in jener künftigen Stadt, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist! Die Ausschau nach dieser Stadt, sie hält uns munter, und den für treu zu erachten, der sie verheißen hat, das bringt Kraft, wie „man“ sehen kann - an Sara und Abram - auch nicht mehr die Jüngsten -, die dennoch nicht nur Kinder zeugen und empfangen, sondern sie auch tragen und gebären und sie auch groß kriegen. -

Wer sind wir? Wer bist Du – wer ich? Die Nachkommen des Vaters Abrams und der Mutter Sara oder die Nachkommen des Vaters Tharah? Abrams Zeugen oder Tharahs Zeugen? Man kann das vermutlich in den meisten Fällen nicht so oder so entscheiden. Zur Ahnenreihe gehören beide. Und sowohl Tharahs Blut, als auch das von Abram und Sarah mischt sich in unseren Adern. Aber in unseren aktuellen und jeweiligen Erscheinungsweisen wird schnell deutlich, wessen „Nam’ und Art“ wir tragen. Seltsam, sich vorzustellen, der langweilige, niedergelassene Tarah hätte späte Nachfahren selbst unter den Reformierten. Und diese Nachfahren, die Kinder Calvins, stünden nun auch nur noch rum in immer derselben Szene in Haran, niedergelassen und beklommen mit Tharahs und Harans Gewerke befasst, etwas grau und greisig, mit Haaren aus den Ohren, altersschwach - selbst wenn sie mit siebzig noch drei Knaben kriegen - und re-signiert, knapp bei Kasse. Ohne Vision, ohne Träume, vor allem ohne Audition, ohne Hörfähigkeit. Wie Urvater Tharah, das Verpackungsgewicht, die Hülle ohne Inhalt. Man stelle sich vor, Tharah in dieser Gestalt, und es kämen in unserer Kirche kein Abram und keine Sara mit ihren scharfen Ohren für die große Audition vom gelingenden Leben, vom Frieden in Gerechtigkeit, von der Freiheit in Ausgleich und Wohl für alle.

Diese Audition bekommen wir – wie Abram - durch Gottes Wort und der daraus wachsenden Unruhe und Sehnsucht im Herzen, die danach fragen, wie es denn bestellt sein müsste mit einem/mit einer, denen Gott sein Wort gönnt und seine Freundschaft angetragen hat und die darum immer auch den Wechsel wagen, neue Aufbruchgelüste haben und die Leidenschaft bewahren, die gelobte Stadt, das gelobte Land zu sehen und soweit zu kommen wie Abram, wie niemand weiter kommen kann: bis zum Glauben.

Ich habe mir vorgenommen, mich im neuen Jahr, es ist mein 63., mit meinen zunehmenden Jahren mich selber wieder einmal stärker zu prüfen, wer in mir stärker ist: Tharah oder Abram und wem ich mit 63 mehr ähnele. Und ich will auch die Entscheidungen und die Tagesordnungspunkte meines Alltags einfach mal daraufhin befragen, ob sie mit meinem Glauben zu tun haben, ob sie eher nach Haran zu Tharah oder ins gelobte Land zu Abram und Sara weisen - vorauf und voran: „zur Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.“

Predigt, gehalten am 9. Januar 2011 in der Antoniterkirche zu Köln