Wie sagen wir Gott auf angemessene Weise Dank?

Predigt zum Erntedankfest


© hannsbenn/Pixabay

Von Stephan Schaar

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN.

Liebe Gemeinde, wer von uns wäre nicht mit den fürsorglich-ermahnenden Worten “nun sag mal schön ‘Danke!’” großgeworden?

Als Kind konnte das sehr peinlich sein - weil man möglicherweise nur einen Wimpernschlag zu langsam war und durchaus keiner Erinnerung bedurft hätte, die einem aber nicht erspart wurde. Vielleicht auch, weil ein förmliches “Dankeschön” mitunter deplaziert wirkt, wenn es sich um eine wirkliche Nichtigkeit handelt oder - schlimmer - wenn man mit der Person, der man zu Dank verpflichtet ist, am liebsten nichts zu tun haben möchte.
Ich habe da jedenfalls in meiner Kindheit einiges an unangenehmen Situationen erlebt.

Nun bin ich aber auch in einer Zeit aufgewachsen, da man - außer möglicherweise beim Tischgebet - auch auf einen Dank Gott gegenüber meinte verzichten zu können. Das war nicht etwa mit einer direkten Abwendung von Gott verbunden oder mit grundsätzlicher Undankbarkeit. Es hatte vielmehr mit einer Emanzipation von etlichen als überkommen empfundenen Ritualen zu tun, mit Handlungsweisen, die auf einmal hohl wirkten, weil sie auf einer Selbstverständlichkeit beruhten, die allem Anschein nach verlorengegangen war.

“Nun sag mal schön ‘Danke!’”, hieß es aber auch im Hinblick auf Gott. Das fühlte sich erst recht unbehaglich an, zum einen, weil wir - in der Familie, im Freundeskreis, in der Schulklasse - nicht so eingeübt waren in einen geläufigen Umgang mit Gott, zum anderen aber auch, weil wir das, was wir hatten, eigentlich als selbstverständlich betrachteten, auch wenn wir bei uns zuhause beobachten konnten, mit wie viel Mühe unsere Eltern das Geld zusammenbrachten, von dem beispielsweise eine Gas-Etagenheizung  in die Wohnung eingebaut wurde.

Die Wirtschaftswunderjahre lagen hinter uns, die Ölkrise stand noch bevor und traf uns als Fußgängerfamilie ohnehin nicht so heftig wie die Auto fahrenden Haushalte. Heute also steht der Dank im Titel des Sonntags und ist dessen Thema: Erntedank. Aber wie ich schon sagte, sind wir ja keine Landwirte, sondern bestenfalls Freizeitgärtner. Ich möchte daher grundsätzlicher als nur nach dem Ertrag des Feldes fragen: Was macht uns dankbar? Und: Wie sagen wir Gott auf angemessene Weise Dank?

Singen ist da eine bewährte und zudem mit Freude verbundene Methode. Also lasst uns nun singen, und zwar zunächst die erste Strophe des “Danke”-Liedes - in unserem Gesangbuch die Nummer 334!

1. Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag.
Danke, daß ich all meine Sorgen auf dich werfen mag.

Der Autor und Komponist dieses in meinem Geburtsjahr entstandenen Liedes hat zwar noch weitere Gebetsanliegen, aber er beginnt im Stil eines Morgengebetes mit der schlichten Freude daran, dass Gott wieder einen neuen Tag hat werden lassen. Wobei Gott gar nicht genannt wird. Trotzdem dürfte niemand daran zweifeln, dass Gott der Adressat all des Dankes ist, den Martin Gotthard Schneider zum Ausdruck bringt. ...”auf dich werfen” - damit ist zweifelsfrei Gott gemeint und das Petruswort (1 Petr 57) zitiert: All eure Sorge werft auf ihn, denn er kümmert sich um euch.

Ich möchte das eine gute Gewohnheit nennen, wenn man, kaum dass man die Augen aufschlägt, sich bewusst macht, wem man das verdankt - und somit auch zu danken hat:  Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt. Was früher niemand ahnte: Heute ängstigen derartige Worte empfindsame Kinder; denn kann man wissen, ob Gott will?! Ich vermute, für Schneider stand fest, für mich und meine Zeitgenossen gilt das ebenfalls, dass Gott will - und das “wenn” hört sich nicht so sehr nach dem Vorbehalt, den der Apostel Jakobus formuliert (so Gott will, werden wir leben) an, sondern klingt eher nach einem “wann”: “Schlafe, bis es Gott gefällt, dich erwachen zu lassen! Schlafe selig und süß!” Und dann wacht man auf und weiß: “Gott sei dank ist ein neuer Tag geworden.”

Lassen Sie uns fortfahren mit dem Gesang der zweiten Strophe:

2. Danke für alle guten Freunde, danke, o Herr, für jedermann.
Danke, wenn auch dem größten Feinde ich verzeihen kann.

In seiner Erklärung zu der Vaterunserbitte um das tägliche Brot schreibt Martin Luther im Kleinen Katechismus: Gott gibt das tägliche Brot auch ohne unsere Bitte allen bösen Menschen; aber wir bitten in diesem Gebet, dass er’s uns erkennen lasse  und wir mit Danksagung empfangen unser tägliches Brot. Was heißt denn tägliches Brot? Alles, was Not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.

Das ist nun schon an die 500 Jahre her, seit der Reformator diese Erklärung formuliert hat, mit der wir uns wieder ganz nah an der Erntedankthematik bewegen. Aber - und darauf kam es mir an - auch Luther bleibt nicht beim Brot, bei den Bedürfnissen des Körpers, stehen. Auch er nennt - neben mancherlei Besitztum und förderlichen Rahmenbedingungen - Eheleute und Kinder sowie Freunde lebensnotwendig. Das greift unser Liederdichter auf - und spricht uns, denke ich, damit aus dem Herzen: Ja, danke, guter Gott, daß wir in Beziehungen leben - denn es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.

Dass wir uns nicht selbst genügen, liegt auf der Hand, wenn man nicht an einer narzisstischen Störung leidet und im Grunde nichts benötigt als einen Spiegel, um sich am Anblick einer anbetungswürdigen Person zu ergötzen. Dass wir aber nicht uns selbst und also der Einsamkeit anheimgegeben sind, das ist einer der vielen Gründe, Gott aus vollem Halse Dank zu sagen und “Danke” zu singen.

Die Feinde sparen wir uns für später auf und singen jetzt die dritte Strophe.

3. Danke für meine Arbeitsstelle, danke für jedes kleine Glück.
Danke für alles Frohe, Helle und für die Musik.

Jetzt kommen wir unweigerlich an den Punkt, wo es uns gut ansteht, innezuhalten und uns darauf zu besinnen, aus welcher Perspektive hier mit Gott geredet wird. Es ist ein Blickwinkel, der uns vermutlich sehr vertraut ist, eine Sichtweise von Menschen, die sicher mancherlei Sorgen kennen - vor allem, wenn es um die Gesundheit geht oder sich auf die Zukunft der Schöpfung bezieht. Die deshalb über alles Frohe, Helle und die Musik erfreut sind.

Aber andere existentielle Probleme sind hierzulande heute gottlob nahezu unbekannt - wenn man nicht zur falschen Zeit am falschen Ort ist und Opfer eines terroristischen Anschlags wird. Die gehören zwar (anders als in Israel) nicht zu unserem Alltagserleben; doch zumindest aus den Nachrichten erfahren wir davon, dass hier ein Amokschütze gewütet hat und dort ein islamistischer Selbstmordattentäter Menschen mit in den Tod riss, dass da ein möglicherweise geistig Verwirrter ein Kind vor die Bahn schubst und dort ein Judenhasser eine Synagoge überfällt.

Gleichwohl gibt es in diesem Land - einem der wohlhabendsten der Welt - nicht nur Arbeitslose, die auch nach Jahren noch vergeblich nach einem Job suchen, und Leute, die zwar eine Anstellung haben, davon aber nicht leben können ohne aufzustocken. “Danke für meine Arbeitsstelle?” Wohl dem- und derjenigen, die so sprechen kann!

Und zu ergänzen wäre, was heute schon angeklungen ist, was uns selbstverständlich scheint, es aber nur deshalb ist, weil wir - bei aller auch berechtigten Kritik an manchem, was besser werden muss - in Deutschland zwar mitunter sehr teure Wohnungen haben, aber kaum jemand auf der Straße leben muss, der das nicht will; dass wir mit Einrichtungen für Kinder, Jugendliche und alte Menschen gesegnet sind, dass es schon zu den großen Aufregern gehört, wenn wir in den Supermarkt gehen und es dort ausnahmsweise mal kein Klopapier gibt.

Wir fahren fort mit dem Gesang und gönnen uns jetzt gleich zwei Strophen hintereinander.

4. Danke für manche Traurigkeiten, danke für jedes gute Wort.
Danke, dass deine Hand mich leiten will an jedem Ort.
5. Danke, dass ich dein Wort verstehe, danke, dass deinen Geist du gibst.
Danke, dass in der Fern und Nähe du die Menschen liebst.

Dass Menschen sich bedanken, wenn ihnen ein Wunsch erfüllt wurde oder jemand ihnen eine besondere Freude gemacht hat, das gehört unter uns - ich erinnere an meine einleitenden Worte - zum guten Ton, den wir unseren Kindern nahezubringen uns mühen.
Aber für Traurigkeiten danken - geht das nicht ein wenig zu weit? Ich zitiere aus Okko Herlyns Buch “Was ist eigentlich evangelisch?”:

In einem Interview mit Franz Beckenbauer lesen wir die Frage: “Sie scheinen unter einem Glücksstern geboren zu sein. Sagen sie manchmal auch: ‘Danke, lieber Gott, für diese außergewöhnliche Karriere und mein schönes Leben`?” Beckenbauer: “Freilich, in 99 von hundert Fällen sind meine Gebete ein Dankeschön. Ich bin dankbar, leben zu können. Mein Leben war von vielen glücklichen Umständen begleitet.” Der Interviewer: “Alles in allem haben sie einen guten Draht zu Gott...” Beckenbauer: “Doch, schon, das denke ich zumindest. Das bestätigen mir ja auch meine Gebete.”

Nichts, absolut nichts gegen das Beten und gegen das Danken! - Aber hier scheint eher eine Vorstellung von Gott vorzuherrschen, die ihn als eine Art kosmischen Wünsche-Erfüller sieht oder als  Fatum, das günstigenfalls gute Karten austeilt, wofür man dann durchaus danken darf.
Martin Gotthard Schneider hingegen weiß, dass Gott nicht nur ein braves “Dankeschön” wie aus Kindermund erwartet, sondern in jeder Beziehung unser vertrautes Gegenüber sein will.

Als Hiob, der als ein mustergültiger Frommer bezeichnet wird, aus heiterem Himmel alles verliert, was ihm im Leben lieb und wert gewesen ist und ihm allemal Grund gegeben hatte zur Dankbarkeit gegen Gott, und daraufhin seine Frau ihn auffordert, sich von diesem plötzlich grausam gerierenden Gott loszusagen, da entgegnet er: Das Gute nehmen wir an von Gott, und das Böse sollten wir nicht annehmen? Obwohl er selbst vor Leid und Gram das Gotteslob momentan nicht laut werden lassen kann, erkennt er an, dass dieses dennoch weitergehen muss, wenngleich augenblicklich eher von jenen, die ihn darin vor Gott vertreten.

Wer trauert, wird in den seltensten Fällen vollmundig singen: Danke für manche Traurigkeiten. Aber wer im Leben und im Sterben auf Gott vertraut, weil er sein Wort versteht als die Frohe Botschaft von Gottes in Jesus Christus offenbar gewordenen Liebe zu uns Menschen, der wird jedes Wort, das aus Gottes Mund hervorgeht, als Lebens-Mittel erfahren und gerne mit uns singen: Danke für jedes gute Wort. Hier kommen nun auch die Feinde - die wir vorhin ausgeklammert hatten - ins Spiel: Liebt eure Feinde! Tut wohl denen, die euch hassen!, fordert Jesus seine Jünger*innen auf - und nichts anderes setzt unser Lieddichter als christliche Grundhaltung voraus.

Wir kommen zum Schluss:
Wir danken, wenn es denn mehr als ein Ritual oder gar eine Gehorsamsleistung ist, wenn es sich darum handelt, ein Bedürfnis zu verspüren, unsere Verbundenheit und Freude zum Ausdruck zu bringen; wir danken Gott dann schlicht dafür, dass er unser Gott ist, der gute Hirte, der uns dahin leitet, wo sein Plan für uns es vorsieht - ob das nun vordergründig angenehm ist oder nicht.

Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will, formulierte 1944 Dietrich Bonhoeffer in seiner Zelle. Und weiter:  Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.

Das nehmen wir jetzt noch einmal auf, indem wir die letzte Strophe unseres Liedes singen.

6. Danke, dein Heil kennt keine Schranken, danke, ich halt mich fest daran.
Danke, ach Herr, ich will dir danken, dass ich danken kann.


Stephan Schaar