Zwischen Bank, Container und christlichen Festen

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 22. Kapitel


Der Container ist angekommen

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Tobias Kriener schreibt:

Immer noch kein Konto – aber morgen kommt der Container… ?!?

15.11.2016

Das war mal wieder eine typisch israelische Story:

Gestern war ich in Naharija, um endlich mit meinem Pass die Kontoeröffnung abzuschließen. Kaum hatte ich die Bank betreten, klingelte das Handy: Die Umzugsfirma war dran - ich sollte die Zollgebühren bezahlen; da das Zollbüro nur bis 12 Uhr mittags offen hat, war Eile geboten – ich also mit meinem Bikel schnellstens zurück nach Nes Ammim, und nach einigem nervenzehrenden Hin- und Her (meine Kreditkarte wollte nicht so, wie sie sollte...), war das also erledigt.

Heute nächster Anlauf bei der Bank in Naharija; leider kam ein anderer Kunde mir einen Schritt zuvor beim zuständigen Schalterbeamten – zum Glück hatte ich aber Lesestoff dabei, so dass ich mir in aller Ruhe angucken konnte, wie der Bankbeamte erst mal aus seinem Kabuff raus kam und um die Ecke verschwand; nach einigen Minuten kam er zurück – mit einer Tasse Kaffee und einer Tasse Tee in der Hand! So setzten sich die beiden Herren also zu einem gemütlichen Schwätzchen zusammen, und ich hatte Muße, ein weiteres Kapitel in Tom Segevs „Hamillion HaSchwi'i“ durchzulesen.

Als ich dann an die Reihe kam, erinnerte sich Herr T. nicht mehr daran, dass er alle meine Daten vor zwei Monaten schon mal in seinen Computer eingegeben hatte, und fing an, sich wieder umständlich Name, Geburtsdatum, Passnummer auf einen seiner vielen Notizzettel zu kritzeln; schließlich wollte er meine Adresse in Deutschland wissen. Ich habe keine Adresse mehr in Deutschland. Aber er bestand darauf: Er brauchte meine Adresse in Deutschland.

In dem Moment rief eine Geweret [hebr. Frau] an und brauchte irgendwas, so dass er sich erst mal dieser Angelegenheit widmete; bevor er zu mir zurückkehren konnte, rief mich wiederum die Umzugsfirma an: Ich musste jetzt die Lagerungsgebühren bezahlen – wieder bis zum magischen Zeitpunkt 12 Uhr mittags – dann käme der Container morgen nach Nes Ammim.

Ich ergriff die Gelegenheit, Adon [=Herr] T. meinen Pass zu entreißen (mein Konto werde ich doch lieber bei einer anderen Bank zu eröffnen versuchen), radelte schleunigst nach Nes Ammim zurück, erledigte das mit der Bezahlung, und bekam dann die Auskunft, morgen zwischen 9 und 11 kommt der Container. Das Ganze hat uns zwar ein Vermögen gekostet – aber wenn der Container tatsächlich morgen kommen sollte, soll's mir recht sein.

Ich bin gespannt...

Zeichen und Wunder!

16.11.2016

Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Der Container ist tatsächlich gekommen: Pünktlich um 9 Uhr früh war er da.

Es war dann zwar eher eine chaotische Kisten-ins-Haus-Schmeißerei ohne Plan und Verstand – und der Vorarbeiter meinte, sie wären nur verpflichtet, Betten und Tische aufzubauen. Ich konnte sie immerhin dazu bringen, einen Schrank aufzustellen – aber dann war 12 Uhr, und es war anscheinend das oberste Ziel, bis 12 Uhr fertig zu sein. Mit Globus werde ich nicht noch mal einen Umzug machen, soviel steht fest.
Immerhin konnte Katja durch Kontakt zur deutschen Agentin noch rausschlagen, dass am Sonntag ein Schreiner kommt, um das große Regal zusammenzustecken, und den Weichholzschrank aufzustellen – damit ist dann das Gröbste gemacht.

Aber wie auch immer, und auch wenn und Zoll und Lagerung ein kleines Vermögen gekostet haben: wenn das Geld erst mal weg ist, trauert man ihm nicht mehr nach, und jetzt freue ich mich darauf, die nächsten Wochen täglich das eine oder andere Kistchen auszupacken: Das ist wie Dauerweihnachten – immer wieder nette Überraschungen...

Zum Beispiel habe ich schon einige Spiele auspacken können. Und ich fahre wieder mit meinem Superbike herum: So sehr ich mein kleines Bikel schätze – aber mit einem richtigen Fahrrad zu fahren, ist doch was anderes...

Damit bin ich dann heute Abend auch gleich nach Naharija in den Talmud-Kurs zum Traktat Brachot bei Rabbinerin Ariela gefahren. Es war eine sehr nette Runde, in der neben der Beschäftigung mit dem Text auch viel darüber geredet wurde, wie es die Reformierten halten mit dem Beten des Schma Jisrael und den Tefillin und dass die Rabbinatsstudenten gar nix mehr wissen (genau wie unsere Theologiestudis... ;-), und dass die Reformierten heutzutage wieder mehr zur Tradition zurückfinden und warum und und und.

Morgen geht's dann um 6 Uhr zu einem Daytrip zu Stätten der religiösen Tradition östlich von Jerusalem. So macht der Job wieder richtig Spaß, nachdem dieser ganze Heckmeck mit Visum und Container und dem Protokoll der BoD-Sitzung jetzt erst mal hinter mir liegt. Und das mit dem Bankkonto – das kriegen wir auch noch hin; mal schau'n, was die nächste Woche an dieser Front wieder an lustigen Begebenheiten mit sich bringt.

Es wird wohnlich…

26.11.2016

Nach 10 ziemlich nervenaufreibenden Tagen melde ich mich mal wieder.

Ich war ja sehr happy, dass der Container angekommen ist. Ein paar Worte habe ich darüber schon verloren.

Es ging dann aber sehr nervenaufreibend weiter: Der für Sonntag versprochene Schreiner kam dann doch nicht: Erst hieß es, er hat sehr viel zu tun – wir melden uns. Natürlich hat sich niemand gemeldet, sondern ich habe nachgehakt.
Dann bekam ich am Sonntag im Zug nach Jerusalem die Nachricht, dass man den Verpackungsmüll nicht einfach so bei den Müllcontainern abwerfen kann – ich müsste ihn bis Montag früh da wegschaffen. Also habe ich nach meiner Rückkehr um Mitternacht noch eine gute halbe Stunde Müll vor unser Haus geschleppt. Am nächsten Morgen bei Globus angerufen und die Situation geschildert. Reaktion: Kein Problem, wir kümmern uns – wir melden uns wieder. Natürlich hat sich niemand gemeldet – ich musste nachhaken.
Immerhin hatte ich an dem Morgen das Glück, dem Müllwagen, der das Papier und die Kartons abholte, über den Weg zu laufen. Die Jungs waren so nett, auf ihrem Weg vor unserem Haus anzuhalten und die Kartons mitzunehmen!!!
In Bezug auf den Schreiner war die neueste Nachricht: Er hat Urlaub. Wir versuchen jemand anderen zu finden. Wir melden uns. Natürlich...
Die Müllfront: Wir arbeiten dran. Wir melden uns. Natürlich...
Inzwischen hatte Katja mit dem deutschen Umzugsunternehmen Kontakt aufgenommen. Als am Mittwoch dessen Vertreter dann dem CEO von Globus die Meinung gegeigt hat, ging auf einmal alles ganz schnell: Noch am selben Tag wurde der Müll abgeholt. Und im Laufe des Tages rief drei Mal die Dame von Globus an, um mit mir einen Termin für Donnerstag auszumachen, um mir Leute zu schicken, die mir helfen, die Sachen aufzubauen (inzwischen hatte sie kapiert, was ich von Anfang an gesagt hatte: dass dafür kein Schreiner vonnöten ist). Also, letzte Ansage: Zwischen 12 und 14 Uhr am Donnerstag sollten die Leute von Globus anrücken.
Am nächsten Morgen saß ich um 10 in meinem Büro tief versunken in komplizierte Berechnungen von Gruppengrößen und Subventionszahlungen für Dialoggruppen, als das Telefon klingelte – die Leute von Globus waren dran: Wir stehen hier vor deinem Haus...
Zum Glück ist es mit dem Fahrrad nur 1 Minute vom CLD zum Haus, so dass sie keine Chance hatten, sich schnell wieder zu verdrücken. Und so bin ich nun also müllfrei, und die Möbel stehen, und es sieht schon richtig wohnlich aus im Wohnzimmer! Ich glaube sogar, ich habe schon die perfekte Anordnung für die Möbel gefunden – aber mal sehen, wie Katja das sieht, wenn sie kommt. Auf jeden Fall kriegen wir ein sehr schönes Wohnzimmer.

Christlicher Festrhythmus in Israel?!

Zwischendurch war dann auch noch ein bisschen Studienprogramm: So bin ich zum ersten Mal in den Genuss gekommen, die Taufstelle am Jordan bei Jericho zu erleben. Unser Guide Ilan war rührend bemüht, uns die Vorteile der Wüste für die innere Einkehr und Kontemplation nahezubringen – was nicht ganz einfach war angesichts der im Hintergrund jubilierenden (man kann auch sagen: randalierenden) Gruppe von Afrikanerinnen und der unmittelbar hinter uns mit ihren Knarren hockenden israelischen Soldaten – schließlich ist ja hier auch eine Grenze zu bewachen: Der jordanische Kollege sitzt schließlich in Kirschkernspuckweite am gegenüberliegenden Ufer.

Und diese Woche waren wir dann in Nazareth bei Johana Katenacho zu einem sehr instruktiven Vortrag über die Christ_innen in Israel. Auf dem Weg durch Nazareth wurden wir dann erstmals im Lande mit Weihnachten konfrontiert in Gestalt von ein paar Läden mit unglaublich kitschiger Weihnachtsglitzerdeko.

Dass es nicht einfach ist, in Israel den eigenen Festrhythmus zu begehen, wurde dann heute Abend sehr deutlich: Der Gottesdienst zum 1. Advent fiel nämlich aus, weil Bergmans für 6 Uhr ihr Abschiedsgrillen angesetzt hatten; da war natürlich die Motivation zum Gottesdienstbesuch endgültig auf Null – bzw. auf 1, denn der einzige z. Zt. in Nes Ammim weilende Senior – Roeloef – kam natürlich pünktlich zum Gottesdienst, wie er es gewohnt ist und es ihm ein Anliegen ist.
Ja, mit dem christlichen Charakter von Nes Ammim – das ist wirklich eine schwierige Sache. Leider kann ich bei der nächsten Community Assembly nicht dabei sein, um das Thema (wieder) anzusprechen, wie ich eben erfahren habe, da der Termin nicht mit mir abgesprochen wurde und ich an dem Abend schon eine andere Verpflichtung eingegangen bin. Ist die Frage, wie und wann wir in dieser Sache mal weiter kommen...

Ich kenne das ja aus meinen früheren Israelaufenthalten, dass man hier in einem völlig anders geprägten Kontext sich ganz anders um seine eigene Tradition kümmern muss. Noch habe ich keine zündende Idee, wie das nicht nur mein (altväterliches) Anliegen bleiben, sondern zu einer Sache der Volontäre selber werden könnte. Wir haben bei der letzten Community Assembly ja schon mal drüber gesprochen, auch eine Arbeitsgruppen eingesetzt, die auch schon einmal getagt hat, ein paar gute Ideen gesammelt hat, sich dann für einen nächsten Termin verabredet hat – zu dem dann aber nur die Hälfte der Leute auftauchte, weil die andere Hälfte mal wieder Dringenderes zu tun hatte – es ist ja nun mal auch einfach so, dass es in der kurzen Zeit, die die Volos hier sind, soooo viele Dinge zu entdecken und zu erfahren gibt – man kann es ihnen also gar nicht übel nehmen. Wenn es nicht ihr eigenes Ding wird, sondern immer nur mein Thema bleibt, dann kann man nichts anderes erwarten...
Das weitere Prozedere ist jedenfalls offengeblieben.

PS: Nicht, dass Ihr denkt, von der Bank gäbe es nichts zu erzählen – aber das hebe ich mir für's nächste Mal auf...

Nazareth


Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, November 2016
Leben in Israel zwischen Golan und Sinai, Mittelmeer und Jordan, unter Juden, Muslimen, Christen, Agnostikern,Touristen, Freiwilligen - Volontären, Israelis, Palästinensern, Deutschen, Niederländern, Schweden, Amerikanern undundund

Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener