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Die Zeit der Aufklärung in Ostfriesland
8. September 2024 - 15. Dezember 2025, Emden

Immanuel Kant (1724–1804) formulierte in seinem Essay „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ in der Berlinischen Monatsschrift von 1784 die klassische und bis heute gültige Definition des Begriffes „Aufklärung“:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“.

Die Aufklärung nahm bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts ihren Anfang und zeichnete sich durch ein auf Vernunft basierendes Denken aus, das traditionelle Sichtweisen in Frage zu stellen und zu überwinden bereit war. Das Plädoyer für religiöse Toleranz und die Anerkennung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse der Frühen Neuzeit waren Anliegen dieses Zeitalters.

Im kirchlichen Leben Ostfrieslands gewann die Aufklärung erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts an Bedeutung. Im lutherischen Teil Ost-frieslands traten die Vertreter der Aufklärung früher als im reformierten Bereich auf, wo sie bedingt durch ihre niederländische Prägung gemäßigter in Erscheinung trat.

In der Ausstellung werden jedoch nicht nur die Geschichte der Aufklärung in Ostfriesland und die durch sie entstandenen Kontroversen behandelt.
Das Zeitalter soll anhand dinglicher Exponate greifbar werden. Neben einer historischen Naturaliensammlung wird der Blick auf Arbeiten des ostfriesischen Silberschmieds Hermann Neupert (1727–1807) aus Norden gewährt, der Hoflieferant Friedrich des Großen war. Thematisiert werden aber auch die Möbel aus der berühmten Roentgen-Manufaktur in Neuwied.

Johannes a Lasco Bibliothek, Kirchstraße 22, 26721 Emden
08.09.2024 bis 15.12.2025
03.02. bis 04.05.2025

Eintritt: 6,00 €, ermäßigt: 3,00 €
Kinder/Jugendliche bis 15 Jahre Eintritt frei
Gruppenführungen – nach Terminabsprache (Eintritt zuzüglich 2,00 € pro Person)



Wohnung Gottes oder Zweckgebäude?

Was bedeuten Gebäude und Raum einer Kirche aus reformierter Sicht?

© Pixabay

Johannes Calvin kritisierte die maßlose „Ausschmückung von Kirchengebäuden“ auf Kosten der Mittel, die „eigentlich den Armen zugute kommen müssten“.

Immer weniger Menschen teilen sich einen Kirchenraum. Die gesellschaftlichen und demografischen Veränderungen fordern die Kirchen auch in Bezug auf den Umgang mit ihren Liegenschaften. Kann man eine Kirche verkaufen? Sind auf dem Hintergrund ökumenischer Überlegungen Nutzungserweiterungen zu erwägen? Wie steht es mit Fremdnutzungen – etwa durch andere Religionsgemeinschaften?

Reformierte Akzente 

"Systematische und umfangreiche Äusserungen zum Thema Kirchengebäude und Kirchenraum sind bei den Reformatoren reformierter Prägung nicht auszumachen. Es gibt keine «Lehre» dazu. Es kann deswegen im Folgenden nur um eine skizzenhafte und unvollständige Rekonstruktion einiger Grundelemente reformierter Äusserungen gehen. (1)

Das Zweite Helvetische Bekenntnis (Confessio Helvetica Posterior, 1566) formuliert im 18. Kapitel folgendermassen:

«Wie wir aber glauben, dass Gott nicht wohne, in Tempeln von Händen gemacht’, so wissen wir doch aus Gottes Wort und aus den heiligen Gebräuchen, dass die Gott und seiner Anbetung gewidmeten Stätten nicht gewöhnliche, sondern heilige Orte sind (scimus loca Deo cultuique eius dedicata, non esse prophana sed sacra) und wer sich darin aufhält, soll sich ehrerbietig und geziemend benehmen, da er ja an heiligem Orte ist, vor Gottes und seiner heiligen Engel Angesicht.» (2)

Wer diese Aussagen mit denen Luthers vergleicht, wird zunächst darüber staunen, wie ungebrochen hier von «heiligen» Orten gesprochen wird. Doch inwiefern sind diese Orte heilig? Heinrich Bullinger, der Verfasser des Zweiten Helvetischen Bekenntnisses, meint auch in einer seiner Dekaden, das Gotteshaus solle «heilig» sein. Doch er präzisiert an dieser Stelle genauer, was damit gemeint ist: «Der Ort an sich aber ist nicht heilig, doch insofern diese heiligen Verrichtungen an dem Ort geschehen, wird der Ort selbst heilig genannt.» (3)

Unter heiligen Verrichtungen versteht Bullinger hier die Versammlung der heiligen Kirche, die Verkündigung des heiligen Wortes Gottes, den Empfang der heiligen Sakramente und das gottgefällige Gebet. (4) Heilig ist also eine Kirche für Bullinger, sofern sie «durch den heiligen Gebrauch» (5) – und das heisst durch den gottesdienstlichen Gebrauch der Gemeinde – geheiligt wird. Von diesem Verständnis her kann Bullinger sogar sagen, dass eine Kirche durch einen solchen Gebrauch «geweiht» wird. (6)

Liest man die Aussagen des Zweiten Helvetischen Bekenntnisses vor diesem Hintergrund, so sind sie also nicht weit von denen Luthers entfernt. Es gilt nun, die reformierten Akzente noch deutlicher hervorzuheben.

Der reformierte Bernhard Reymond gibt das protestantische Verständnis von Heiligkeit so wieder: «Während die katholische Frömmigkeit gerne bestimmte Orte, Stätten, Bilder oder Skulpturen als heilig betrachtet, ist die Heiligkeit für den Protestantismus vor allem ein Geschehen, ein Prozess, wo die Heiligkeit Gottes, der allein wirklich heilig ist, die Menschen heiligt.» (7) Der heilige Gott heiligt Menschen: Die reformierte Tradition hat im Blick auf das christliche Leben im Glauben nicht nur die Rechtfertigung, sondern stets auch die Heiligung stark hervorgehoben. Dass Gott den (sündigen) Menschen ins Recht setzt, äussert sich auch in einem Gottes Willen und Gebot gemässen Lebenswandel. Die Betonung der Heiligung in der reformierten Tradition spiegelt sich auffälligerweise selbst im reformierten Verständnis von Kirchengebäude und -raum.

Zu einem geheiligten Lebenswandel gehört zentral auch das diakonische Handeln, vor allem gegenüber den Armen. Diakonie zeigt sich nicht nur im individuellen Handeln, sondern auch darin, wie die Gemeinde als ganze mit ihren Geldern umgeht. So setzt sich etwa Bullinger zwar dafür ein, dass von den Kirchengütern unter anderem die Kirchengebäude unterhalten und ausgestattet werden sollen. Doch er sieht auch deutlich die Gefahr, dass dies einseitig zulasten der Aufwendungen für die Armen geht. (8) Diakonie sowie Gestaltung und Unterhalt des Kirchengebäudes sind für ihn aufs Engste miteinander verbunden.

Diese Verbindung zeigt sich auch bei Johannes Calvin: Er kritisiert, dass bei der «Ausschmückung der Kirchengebäude» nicht Mass gehalten wird und die Kirche das Volk so verführe, «dass es die Mittel, die eigentlich den Armen zugute kommen müssten, auf die Erbauung von Kirchengebäuden, die Errichtung von Standbildern, den Kauf von Gefässen und den Erwerb kostbarer Gewänder verwendet» statt vielmehr «die gehörige Fürsorge für die lebendigen Tempel (das heisst die Armen) walten zu lassen». (9)

Eine Kirche ist für Calvin wesentlich Ort des gemeinsamen Gebets, (10), des Gottesdienstes. Alles, was davon in irgendeiner Weise ablenkt, richtet sich gegen die Ehre Gottes. Ablenkungen können von Bildern ausgehen, die Menschen zum Götzendienst verführen. (11) Calvins kritische Haltung gegen über Bildern im Kirchenraum wurzelt im Bilderverbot Ex 20,4(f). (12) Anders als der lutherischen Tradition gilt der reformierten Tradition das Bilderverbot als selbstständiges zweites Gebot der zehn Gebote. (13) Es verwundert nicht, dass es unter dem Einfluss Zwinglis und Calvins in Zürich und Genf und später in den Hugenottenkriegen zur realen Zerstörung von Bildern kam.

Im Blick auf Kirchengebäude und Kirchenraum überlagern sich bei Calvin faktisch Bilderkritik und diakonisches Engagement. Das wird auch bei Bullinger deutlich, wenn er kritisiert:

«Man wendet ungeheure Kosten auf für Stein und Holz, d.h. für Bilder, die keinen Verstand haben, und den Armen, welche die wahren Bilder Gottes sind, wird gar keine Ehre erwiesen.» (14)

Versucht man, die hier besprochenen reformierten Akzente zu bündeln, so ergeben sich folgende Sachzusammenhänge: «Heilig» ist eine Kirche nur, sofern sie durch den gottesdienstlichen Gebrauch der Gemeinde geheiligt wird. Andererseits geschieht die Heiligung der Glaubenden im gottesdienstlichen Hören des Wortes Gottes im Kirchenraum. Die Heiligung drückt sich wiederum (unter anderem) im diakonischen Handeln der Gemeinde gegenüber den Armen aus, wenn es um die Verteilung der Kirchengüter geht.

In der schlichten und kargen, allein an Wort und Sakrament ausgerichteten Ausstattung einer Kirche (und in ihrem Unterhalt) spiegelt sich darum faktisch das geheiligte Handeln der Gemeinde in seiner diakonischen Dimension. Man kann darum sagen: Kirchengebäude und Kirchenraum sind Ausdruck des geheiligten Lebens der christlichen Gemeinde. Es ist auch der diakonische Gottesdienst im Alltag, der eine Kirche (gleichsam rückwirkend) heiligt und dort seine Spuren hinterlässt. (15) Dass eine Kirche dabei auch zum Ort der Kirchenzucht und eines aus heutiger Sicht lebenserstickenden Puritanismus wurde, ist die Schattenseite jener reformierten Auffassung. (16)"

Anmerkungen:

(1) Vgl. zum refomierten Verständnis von Kirchengebäude und Kirchenraum und seiner Geschichte: Reymond, L’architecture religieuse des protestants (zum Folgenden bes. S. 44–71).
(2) Bullinger, Bekenntnis, Kap. XXII, S. 119f.
(3) Bullinger, Schriften V, Dekade 5, Predigt 10, S. 525–575, S. 548. Den Hinweis auf diese Predigt verdanke ich Peter Opitz.
(4) Ebd.
(5) Ebd. Johannes Calvin warnt gar davor, dem Kirchengebäude «irgendeine verborgene Heiligkeit» anzudichten. Calvin, III,20, 30.
(6) Bullinger, Schriften V, S. 548.
(7) Reymond, Zur Theologie des Gottesdienstraumes, S. 19.
(8) Bullinger, Schriften V, S. 551f.
(9) Calvin, IV,5,18; vgl. IV,5,16. Wie bei Bullinger richtet sich Calvins Polemik gegen den damaligen römisch-katholischen Umgang mit Kirchengütern. Wie weit diese Kritik zutraf, kann hier offen bleiben.
(10) «Wie nun Gott den Gläubigen das gemeinsame Gebet in seinem Wort gebietet, so müssen auch öffentliche Kirchengebäude da sein, die zum Vollzug dieser Gebete bestimmt sind» – in dieser Funktion besteht der «rechte Gebrauch der Kirchengebäude». Calvin, III,20,30.
(11) Calvin, I, 11, bes. I, 11,12.
(12) Calvin, I,11,1. Calvin unterscheidet freilich verschiedene Bildbegriffe, vgl. a .a. O., I,11,13.
(13) Vgl. z. B. im Heidelberger Katechismus die Fragen 96–98.
(14) Bullinger, Schriften V, S. 552. Zu klären wäre, wie sich Gottebenbildlichkeit und Bilderkritik zueinander verhalten.
(15) Der kritische Zusammenhang zwischen Kirchengebäude und Diakonie zeigt sich übrigens auch kirchenhistorisch in der Tatsache, dass reformierte Gemeinden in der Diaspora häufig zuerst Schulhäuser und diakonische Einrichtungen aufgebaut haben, bevor es zum Kirchenbau kam (so etwa im Kanton Freiburg).
(16) Dazu ein Beispiel: «Daher ist von den Kirchen und Bethäusern der Christen jede Kleiderpracht, alle Hoffart und alles, was christliche Demut, Zucht und Bescheidenheit verletzt, durchaus fernzuhalten. Der wahre Schmuck der Kirchen besteht auch nicht in Elfenbein, Gold und Edelsteinen, sondern in der Einfachheit, Frömmigkeit und den Tugenden derer, die im Gotteshaus weilen.» Bullinger, Bekenntnis, S. 119f.

Quelle: SEK: Wohnung Gottes oder Zweckgebäude? Ein Beitrag zur Frage der Kirchenumnutzung aus evangelischer Perspektive


SEK
 

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