Michael Weinrich: Wir sind aber Menschen
Von der möglichen Unmöglichkeit, von Gott zu reden
I. Das Unbekanntsein Gottes
II. Von Gott reden, heißt vom Menschen reden
1. Der apologetische Zirkel
a) Gott als Sinnpotenzial
b) Gott als die Fraglichkeit des Menschen
c) Theologische Trittbrettfahrerei
2. Die theologische Perspektive
III. Von der Anmaßlichkeit des Fragens
IV. Wirklichkeit als Beziehung
V. Zur Freiheit befreit
VI. Eine Zwischenbilanz
VII. Die unmögliche Möglichkeit
VIII. Die mögliche Unmöglichkeit
1. Jenseits von Eden
2. Der Bibel treu
3. Zeugen der Wahrheit
Quelle: Michael Weinrich, Wir sind aber Menschen. Von der möglichen Unmöglichkeit, von Gott zu reden, in: Gretchenfrage. Von Gott reden - aber wie? Band 1, hrsg. von Jürgen Ebach, Hans-Martin Gutmann, Magdalene L. Frettlöh und Michael Weinrich (Jabboq 2), Neukirchen-Vluyn 2002, 36-98.
Auf reformiert-info.de mit freundlicher Genehmigung des Autors.
© Prof. Dr. Michael Weinrich, Bochum
Michael Weinrich, Wir sind aber Menschen. Von der möglichen Unmöglichkeit, von Gott zu reden. PDF
Michael Weinrich, Wir sind aber Menschen. Von der möglichen Unmöglichkeit, von Gott zu reden. PDF
I. Das Unbekanntsein Gottes
Wo immer es auftaucht, hat es mit dem Wort »Gott« eine besondere Bewandtnis. Es gibt Situationen, die geradezu nach »Gott« zu verlangen scheinen, doch in dem Moment, in dem dann »Gott« tatsächlich ins Spiel gebracht wird, bemächtigt sich ein diffuses Unbehagen der Situation. Es lässt sich mehr spüren als präzise benennen, dass die erlösende Erklärungskraft »Gottes« in dem Moment zusammenzubrechen scheint, in dem die Sehnsucht nach ihr erfüllt wird. Was als Frage in den abgründigen Gemengelagen des menschlichen Lebens vielleicht noch einen verheißungsvollen Respekt zu wecken vermag, bewirkt unversehens eine peinliche Verlegenheit, wenn es tatsächlich zur Interpretation unserer Wirklichkeit herangezogen wird.
Als eine exponierte und zugleich Würde versprechende Benennung des letzten Grundes und Ziels der Welt wird »Gott« solange ein Platz freigehalten, wie er sich auf den Bereich des von uns Unbestimmbaren beschränkt. Er steht für die in dieser Welt nicht zu klärenden Fragen und gibt so ihrer bleibenden Fraglichkeit einen vertrauenswürdigen jenseitigen Halt. Auch wenn darauf spekuliert wird, dass Gott eine mathematische Formel sei[1], so ist dabei weniger die Erfassbarkeit Gottes im Blick – immerhin kann sie jenseits dessen liegen, was wir jemals zu erfassen vermögen –, sondern mit der Mathematik soll etwas in die Aufmerksamkeit gerückt werden, was als besonders zuverlässig und eben deshalb vertrauenswürdig gilt[2]. Solange sich Gott gleichsam als die hinter allem stehende letzte ›Erklärung‹ verborgen hält, bleibt er in seiner Unerreichbarkeit zur Abrundung unserer defizitär bleibenden Welterklärungen willkommen. Nur einmischen darf er sich nicht in das Diesseits, denn damit gefährdete er den Adel und die Freiheit, mit denen der Mensch die ihm zugängliche Welt durchdringt und beherrscht.
[1] Vgl. P. Schulz, Ist Gott eine mathematische Formel?, Reinbek 1977.
[2] Stephen Hawking fragt im Blick auf den Kosmos nach einer Formel Gottes. Damit wird die gleiche Metapher bemüht, nach der wir auf Gott als Superhirn eben noch mehr Vertrauen werfen können als auf Stephen Hawking, der seinerseits gern als Superhirn dargestellt wird; vgl. den Titel im Focus Nr. 36, 3. Sept. 2001.
[3] Die Exegeten weisen darauf hin, dass sich zwar ein solcher Altar nicht belegen lässt, die Vorstellung, auch unbekannten Göttern gleichsam vorsorglich auch eine gewisse Verehrung vorzuhalten, aber durchaus verbreitet war; vgl. u. a. die Kommentare von E. Haenchen, R. Pesch, J. Roloff, A. Weiser.
[4] Vgl. Tractatus logico-philosophicus [1921], in: Schriften, Bd. 1, Frankfurt 1969, Abs. 6.41.
[5] Ebd., Abs. 7.
[6] K. Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, in: Ders., Das Wort Gottes und die Theologie. Gesammelte Vorträge [Bd. 1], München 1924, 156-178, 158.
© Prof. Dr. Michael Weinrich