Widerstandstheologie. Die politisch-ethische Dimension biblischer Apokalyptik

von Marco Hofheinz, Hannover

Endzeitstimmung, Krise, Angst - Apokalyptik ist auch in säkularer Kultur en vogue. Biblische Motive prägen literarische Werke, wie z.B. „Die Rättin“ von Günter Grass. Aber mit der Verweltlichung geht der biblischen Apokalyptik ihre Dialektik von Untergang und Erneuerung, Katastrophe und Rettung verloren. Einer ''nackten'', säkularisierten Apokalypse, die nur das Ende als Schlusspunkt, nicht als Höhepunkt, kennt, hält die biblische Apokalyptik ihre Hoffnung entgegen und den ''Widerstand gegen die Mächte dieser Welt'', so Hofheinz.

Marco Hofheinz, Widerstandstheologie. Die politisch-ethische Dimension biblischer Apokalyptik (2009).pdf

1. Apokalyptik als Forschungsgegenstand biblischer Exegese
2. Säkulare Apokalyptik als kupierte Apokalyptik
3. Die politisch-ethische Dimension biblischer Apokalyptik
4. Fazit 

1. Apokalyptik als Forschungsgegenstand biblischer Exegese

Klaus Koch sprach einst von der „Renaissance der Apokalyptik“[1]. Sein Urteil bezog sich damals auf das große Echo, das die These Ernst Käsemann in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts in Zustimmung aber auch z.T. erbittertem Widerspruch fand: Die Apokalyptik sei „die Mutter aller christlichen Theologie“[2] gewesen. Seitdem ist die Apokalyptik ein sehr umstrittenes Phänomen geblieben. Allenfalls ein Minimalkonsens scheint sich forschungsgeschichtlich heraus zu kristallisieren: „Nahezu alle Exegeten verstehen unter dem Begriff Apokalyptik sei es explizit oder implizit nicht nur ein literarisches Phänomen, sondern auch eine geistigreligiöse Anschauung bzw. Strömung.“[3] Der Begriff Apokalyptik bleibt damit freilich ein sehr vager und fragwürdiger Ausdruck[4], für den es keine anerkannte Definition gibt. Auch wenn sich gegenwärtig in Bezug auf einzelne, ehemals strittige exegetische Fragen eine Einigkeit abzeichnet, so scheint sich doch der Zustand der Ratlosigkeit gegenüber dem Gesamtphänomen der Apokalyptik nur partiell verändert zu haben. Einmal ganz abgesehen von dem „Dauerbrenner“ der überlieferungsgeschichtlichen Rekonstruktion frühster apokalyptischer Literaturwerke wie des äthiopischen Henoch- und des Danielbuches, verbleiben viele ungeklärte Fragestellungen als Desiderate oder Hypotheken, die schon seit Jahrzehnten den exegetischen Diskurs durchziehen: Ist die Apokalyptik lediglich eine „Entartung“ der genuinen Prophetie und entsprechend negativ zu beurteilen[5] oder stellt sie vielleicht eine positiv zu würdigende eigenständige Erscheinung dar? Wie sieht der Trägerkreis apokalyptischer Literatur in soziologischer Hinsicht aus? Entstammt diese Literatur ihrer Herkunft nach etwa sektiererischen Konventikeln, welche zur herrschenden Theokratie in Opposition standen, oder etwa der Tempelpriesterschaft? Welche formalen und / oder inhaltlichen Kriterien lassen sich überhaupt zur Kennzeichnung „apokalyptischer Strömungen“ anführen? Liegen diesbezüglich strukturelle Gemeinsamkeiten vor? Was sind „apokalyptische“ Leitideen und vergleichbare Motivkomplexe?  Umstritten bleibt im Bezug auf die neutestamentliche Forschung auch die Frage, ob und inwiefern sich Jesus und Paulus im Schatten oder im Glanz der Apokalyptik bewegt haben. War Jesus etwa der gescheiterte Apokalyptiker, für den ihn etwa A. Schweitzer hielt?[6]

Mit Blick auf die aktuelle Diskussionslage hat das berühmte Diktum G. von Rads aus dem Jahr 1965 immer noch seine Gültigkeit: „Wer den Begriff Apokalyptik verwendet, sollte sich der Tatsache bewußt bleiben, daß es bisher noch nicht gelungen ist, ihn auf eine befriedigende Weise zu definieren“[7]. Auch wenn die Krise über die Definition von Apokalyptik, was die Intensität der Diskussion über diese virulente Fragestellung betrifft, nach den hitzigen 1970er und 1980er Jahren in den 1990er Jahren schließlich ausklang, so tat sie es jedoch ohne abschließende Lösung. Auf diesem Hintergrund erhält das Desiderat Plausibilität, „dass ein jeder, der diesen Begriff [Apokalyptik; M.H.] verwenden will, zuvor mitteilt, wie er ihn versteht“[8].

2. Säkulare Apokalyptik als kupierte Apokalyptik

Parallel zu den anhaltenden fachwissenschaftlichen Klärungsbemühungen lässt sich – und auch diese Beobachtung ist nicht neu – die Expansion eines semantisch vagabundierenden Begriffsgebrauchs auf unterschiedlichste Lebensbereiche beobachten. Der Begriff „Apokalyptik“ ist längst zu einer schillernden, offenen, multiperspektivischen Kategorie geworden, die bar semantisch-definitorischer Schärfe und Exaktheit als plakatives Schlagwort fungiert. Gerade in dieser Unschärfe scheint die Schärfe besagten Sammelbegriffs zu bestehen, der – menschliche Phantasie bedienend – die unterschiedlichsten Formen des totalen Untergangs, der absoluten Endzeitkatastrophe und Vernichtung benennt. Gerade im profanen Bereich hat Apokalyptik als „Krisentheorie“[9] seit Jahrzehnten Konjunktur. Die Einstimmung auf den Untergang der Zivilisationsgesellschaft funktioniert anscheinend. Denn egal, ob es sich um militärische, ökologische, ökonomische Krisen, um Bevölkerungsexplosion, Klimakatastrophen oder atomare Selbstvernichtung handelt, es mangelt nicht an wie auch immer gearteter diagnostischer und prognostischer Bearbeitung der drohenden Gefahren. Die Überlegungen zu einer „Kehre“ oder „Wendezeit“ sind entsprechend vielfältig. Allein im Bereich der Literatur ist „Apokalyptik“ zu einer literarischen Gattung avanciert, deren ursprüngliche „religiöse“ Verankerung angesichts fortschreitender Säkularisation bis auf Rudimente aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist. In immer neuen Schüben von Weltuntergangsstimmung manifestierte sich bereits in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts das apokalyptische Genre in der Schilderung von solchen Weltuntergangsvisionen, die nach K. Vondung von einer „grundsätzliche[n] Neigung zu apokalyptischer Weltsicht“[10] zeugen.

Man mag sich angesichts dieser grassierenden Entwicklung daran erfreuen, dass nicht nur in der Vergangenheit, etwa den expressionistischen Gedichten von G. Heym oder G. Trakl[11], sondern immerhin in einem Werk wie „Die Rättin“ (1988) von G. Grass Motive aus der biblischen Apokalyptik strukturbildend gebraucht werden. Man mag sich als Christenmensch auch mit der Beobachtung trösten: „In allen anthropologischen, religiösen, sozialen und psychologischen Veränderungen des Utopie-Apokalypse-Problems ist doch der biblische Mythos das immer wieder durchschimmernde Grundmodell, auch dort, wo Gott ausgeschieden ist und nur noch der Mensch die Geschichte inszeniert, wo allein der Mensch im Zentrum der Welt steht oder wo die Kategorien des Religiösen und Moralischen obsolet geworden sind oder wo nur noch die Apokalypse, der Untergang übriggeblieben ist.“[12]

Dies tröstet allerdings nicht über jenen folgenschweren neuzeitlichen Abkopplungseffekt  hinweg, der mit dem Prozess der Säkularisierung bzw. Emanzipation des Apokalyptik-Begriffs einher geht: Ausgeschieden wird nämlich der positive Aspekt, den die biblische Apokalyptik hat, und zwar die Neuerungsidee, die im Neuen Testament mit dem Kommen Jesu Christi als dem Kommen des neuen Menschen verbunden ist. Die „Offenheit der Verkündigung des Alten Testaments“[13] geht dabei verloren. Insofern handelt es sich bei säkularisierten Apokalypsen in der Tat um beschnittene, um „kupierte“[14] oder „nackte Apokalypsen“[15], d.h. um Apokalypsen, in denen nur das Ende, aber nicht der Anfang darin gedacht wird.[16] Die kupierte oder nackte Apokalypse hat sich des Topos der kommenden Welt Gottes entledigt, die mit dem biblisch keineswegs verharmlosten oder wegdisputierten Ende verbunden ist.

Die neuzeitliche Rezeption biblischer Apokalyptik erweist sich somit ausgerechnet da als nicht anschlussfähig, wo das Herz der kanonischen Apokalyptik zu sitzen scheint. In seinem „Grundriß der alttestamentlichen Theologie“ bemerkt W. Zimmerli diesbezüglich treffend: „Im dem späten Phänomen der Apokalyptik, das innerhalb des ATs im Buche Daniel in einer ausgebildeten Form vorliegt, kommt die Erwartung der letzten Krise der Welt und der Durchsetzung der Gottesherrschaft in der Übergabe des Reiches an die ‚Heiligen des Höchsten’ (7,27) unter Aufrichtung eines ewigen Königreiches durch den ‚Gott des Himmels’ (2,44) voll zum Ausdruck.“[17] In der positiven Zukunftserwartung, präziser: in der begründeten Hoffnung und im „Überschuß“ des noch zu erwartenden Handeln Gottes, wird die Botschaft der biblischen Apokalyptik (als traditionsgeschichtlich verständliche Weiterentwicklung der israelitischen Prophetie), ihr unabgegoltenes Potential für die theologische, insbesondere politisch-ethische Urteilsbildung ansichtig. Dieses Potential hat insbesondere politisch-ethische Bedeutung.   

3. Die politisch-ethische Dimension biblischer Apokalyptik

G.M. Martin, der bereits in den 1980er Jahren unter Verwendung religionspsychologischer und symboltherapeutischer Kategorien dem Deutungspotential apokalyptischer Visionen nachspürte, verfolgte die Arbeitshypothese, „daß die Beschäftigung mit Weltuntergangsvorstellungen gerade nicht zu einer zusätzlichen und gefährlichen Mystifikation unserer Situation führen muß, sondern vielmehr emotional und politisch, ästhetisch und religiös zur ganzheitlichen Realitätswahrnehmung unaufgebbar ist“[18]. Wenn G.M. Martins These zutreffen sollte, dass Erwachsene ebenso Apokalypsen brauchen wie Kinder Märchen (B. Bettelheim)[19], dann hätte diese These auch ethische Implikationen, insofern Ethik in unhintergehbarer Weise mit Weltwahrnehmung zu tun hat.[20]

Nachdem der exegetischen Forschung der Zugang zur apokalyptischen Ethik lange Zeit sehr schwer fiel, begann in den 1980er Jahren ein Erschließungsprozess, der das Jahrzehnte alte Paradigma in Zweifel zog, wonach in der Apokalyptik, der angesichts des Endes des alten Äons die Geschichte verloren gehe, kein Raum für Ethik bleibe.[21] Die politisch-ethische Valenz der Apokalyptik ist entgegen dieser These mittlerweile in verschiedenen exegetischen Studien hervorgehoben worden. So bemerkt etwa G. Sauter: „Aus dem Wissen, dass die heillose Welt zu Ende geht, kann [...] die Kraft zum Widerstand gegen zerstörerische Kräfte erwachsen“[22]. Zu dieser Gegenthese möchte ich exemplarisch zwei Beispiele aus der jüngsten Auslegungsgeschichte anführen. Sie beziehen sich auf zwei biblische Bücher, die beide eindeutig zur apokalyptischen Literatur gerechnet werden:[23] Das Danielbuch aus den Prophetenbüchern des Alten Testaments und das Buch der Offenbarung (Johannesapokalypse) am Ende des Neuen Testaments.

3.1. Beispiel 1: Die politisch-ethische Valenz frühjüdischer Apokalyptik. R. Albertz’ sozialgeschichtliche Rekonstruktion des Danielbuches
Die politische Ethik kanonisierter frühjüdischer Literatur ist in verschiedenen exegetischen Studien einschlägigen Rekonstruktionsbemühungen unterzogen worden. Das Phänomen der Apokalyptik avanciert etwa in der religionsgeschichtlichen Darstellung des Alttestamentlers Rainer Albertz – sozusagen im methodischen Vollzug der sozialgeschichtlichen Zuordnung desselben zu seinem historischen Kontext – zur „Widerstandstheologie“[24]. Begriffen als „schriftgelehrte Ausarbeitung eschatologischer Prophetie“[25], reagiert die Apokalyptik auf die zeitgenössische Orientierungskrise, die durch den Hellenismus ausgelöst wurde. Albertz stellt die Apokalyptik als Widerstandstheologie gegenüber hellenistischem Anpassungsdruck vor, welche sich gegen das Theokratie-Ideal der Chronisten wie auch gegen die Tora-Frömmigkeit der Schriftgelehrten profiliert habe. Als Trägerkreis bestimmt Albertz solche Schriftgelehrten oder Priester, die im Unterschied zu Teilen der spätprophetischen Überlieferung, „die aus prophetisch orientierten Unterschichtszirkeln stammte, Angehörige einer intellektuellen Führungsschicht waren, welche den neuen Typ der apokalyptischen Literatur schufen, allerdings solche, die in schroffer Opposition zum hellenisierenden Teil der Oberschicht standen und sich mit der verarmten konservativen Stadt- und Landbevölkerung solidarisierten.“[26] Die Apokalyptik habe als soziale Widerstandstheologie im frühen Judentum „unter den armen Bevölkerungsschichten große Verbreitung gefunden, die bis in die Jesus-Bewegung hineinreicht“[27].

In Bezug auf das Danielbuch unterscheidet Albertz überlieferungsgeschichtlich zwischen
(1) einer eschatologisch gestimmten griechischen Sammlung von Bekehrungserzählungen aus der ägyptischen Diaspora (Dan 4-6* LXX), in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts entstanden,
(2) dem aramäischen Danielbuch (Daniel 2-7*) als apokalyptischem Buch aus dem ausgehenden 3. Jahrhundert und
(3) der im Jahr 165 v.Chr., d.h. zur Zeit der makkabäischen Erhebung, verfassten vorliegenden aramäisch-hebräischen Mischgestalt des Danielbuches (Dan 1-12).[28]

Klammert man die nach Albertz zur Vorphase der apokalyptischen Traditionsbildung gehörende Erzählsammlung Dan 4-6* LXX aus, so zeigt sich, dass es sich jeweils um „durch und durch politische“[29] Apokalypsen handelt, insofern alle drei in unterschiedlichen historischen Situationen unzweifelhaft mit unterschiedlicher Vehemenz und Radikalität Trost und Mut zum Widerstand vermittelten. Das aramäische Danielbuch rufe etwa in der Märtyrer-Legende von den „Drei Männern im Feuerofen“ (Dan 3) oder durch die Formung der Erzählung von „Daniel in der Löwengrube“ (Dan 6) „zu einem Schaustück totalitärer Staatsmacht“ zum Widerstand gegen „den selbstvergötzenden Anspruch hellenistischer Staatsmacht“[30] auf, mit der fromme Juden notwendig in Konflikt geraten mussten. Der Verfasser des hebräischen Danielbuches, „der wohl dem quietistischen Flügel der Chasidim bzw. einer anderen radikal-religiösen Gruppierung von Schriftgelehrten stammte“, widersprach im makkabäischen Befreiungskampf der Einschätzung aktivistischer Kollegen und warb „für einen rein religiösen, verbalen und gewaltfreien Widerstand“[31]

Wie auch immer man zu Albertz’ Rekonstruktionsversuch stehen mag, seine Analyse demonstriert nachdrücklich, dass sich das Phänomen der Apokalyptik unter Ausblendung seiner sozialen Ausrichtung nicht hinreichend erfassen lässt. Ebenso wenig lässt es sich ohne den Gebrauch von Deutungskategorien der politischen Ethik angemessen umschreiben.

3.2. Beispiel 2: Die politisch-ethische Valenz urchristlicher Apokalyptik. K. Wengsts sozialgeschichtliche Rekonstruktion der Johannesapokalypse
Was das neutestamentliche Zeugnis betrifft, so ist in verschiedenen Studien die ethische Valenz der Apokalypse des Johannes eruiert worden.[32] Nach K. Wengst etwa leitet die Lektüre der Johannesapokalypse in der Zeit Domitians (81-96 n.Chr.), als „der Kaiserkult eine bis dahin unbekannte Steigerung erfahren hatte“[33], zur „Bewährung christlicher Identität im leidenden Widerstand“[34] an. Die Potentiale passiven Widerstandes würden in Gottesdienstgesängen erschlossen[35], die den Sieg des Lammes feierten. Die Apokalypse des Johannes ermutige zum Festhalten des Zeugnisses Jesu (Apk 12,17; 19,10), zum „Durchhalten des Bekenntnisses zu Jesus im Prozeß trotz der sicher zu erwartenden Verurteilung zum Tode“[36]. Es gehe dem Apokalyptiker Johannes darum, durch die Erinnerung an den bereits errungenen Sieg des Lammes die subversive Kraft dieser Erinnerung hervorzuheben, die die Verweigerung gegenüber Götzendienst und Kaiserkult ermögliche.[37] Anpassung ist demnach für Johannes legitimer Weise nur gegenüber der am Kreuz etablierten Gegenwirklichkeit von Frieden und Gerechtigkeit möglich. Gegenüber den irdischen Herrschaftspotentaten und ihrer totalitären Machtideologie mit genuin religiösen Ansprüchen bleibt eine Loyalitätshaltung für die sich zum wahren Weltherrscher Jesus Christus Bekennenden ausgeschlossen. Dies schließt die Bereitschaft zum Martyrium ein (13,10): „Johannes vertritt eine Ethik der Standhaftigkeit und des Ausharrens (2,2f.19; 3,10; 13,10; 14,12)“[38].

Es wäre viel zu kurz gegriffen, wollte man diese Ethik der Standhaftigkeit und des Ausharrens als Aufforderung zur Weltflucht, als Plädoyer für einen Rückzug aus aller Diesseitigkeit im Sinne einer „Jenseitssucht“ beschreiben. Vielmehr kann mit O. O’Donovan hinsichtlich der politischen Option konstatiert werden: „If it is right to say that the basis for a new order of society is God’s word of judgement pronounced in Christ, then it follows that the witnesses who proclaimed that word to challenge the prevailing political order were not acting anti-politically at all, but were confronting a false political order with the foundation of a true one. We must claim John for the point of view which sees criticism, when found in truth, as genuine political engagement.”[39]

4. Fazit

Gemäß den beiden angeführten Beispielen lässt sich feststellen, dass biblische Apokalyptik das Ausharren in der Geduld der Hoffnung und im Widerstand gegen die Mächte dieser Welt intendiert: „Die jüdischen und christlichen Apokalypsen sprechen zwar zu Menschen in den Schrecken geschichtlicher und kosmischer Katastrophen, aber sie reden nicht wie Kassandra und deuten die Menschheitsverbrechen und die kosmischen Katastrophen auch nicht religiös, damit Menschen sich mit ihnen abfinden, mit ihnen kollaborieren oder sich ihnen nur ergeben. Sie erwecken den Widerstand des Glaubens und die Geduld der Hoffnung.“[40] Das Phänomen der Apokalyptik – wie auch immer man es definieren mag – lässt sich mithin nicht unter Ausklammerung politisch-ethischer Aspekte erfassen. Man wird vielmehr das beinahe ein Jahrhundert alte Urteil von Robert Henry Charles (1855-1931) Ernst nehmen müssen: „Apocalyptic was essentially ethical“[41]. In der Tat: Die Rolle der Ethik in den Apokalypsen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die politisch-ethische Valenz der Apokalyptik resultiert dabei schlicht aus der Überzeugung: „[I]t is existentially impossible to believe in God’s coming triumph without a lifestyle that conforms to that faith.“[42]

Zitierempfehlung:
Marco Hofheinz, Widerstandstheologie. Die politisch-ethische Dimension biblischer Apokalyptik (2009), auf reformiert-info.de: URL: http://www.reformiert-info.de/3882-0-0-3.html (Abrufdatum)


[1] K. Koch, Ratlos vor der Apokalyptik. Eine Streitschrift über ein vernachlässigtes Gebiet der Bibelwissenschaft und die schädlichen Auswirkungen auf Theologie und Philosophie, Gütersloh 1970, 11ff.

[2] E. Käsemann, Die Anfänge christlicher Theologie, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen. Zweiter Band, Göttingen 31970, (82-104) 100.

[3] W. Zager, Begriff und Wertung der Apokalyptik in der neutestamentlichen Forschung, EHS XXIII/358, Frankfurt u.a. 1989, 257.

[4] Vgl. J. Maier, Zwischen den Testamenten. Geschichte und Religion in der Zeit des Zweiten Tempels, NEB.E 3, Würzburg 1990, 123.

[5] Vgl. etwa B. Duhm, Israels Propheten, Tübingen 21922, 460: „Der Same, den die Prophetie ausgestreut hatte, ist in kein gutes Erdreich geraten. Zweierlei Gewächs ist aus ihm hervorgegangen, das etwas von Art und Geist der Prophetie, aber noch mehr von dem Boden in sich hatte: Das Gesetz und die eschatologische Hoffnung, das Gesetz aus den Forderungen der Propheten, die Eschatologie aus ihren Drohungen und Verheißungen“.

[6] Vgl. A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, ND München u.a. 1966, 620f.

[7] G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments Band 2: Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels, KT 3, München 91987, 316.

[8] H. Stegemann, Die Bedeutung der Qumranfunde für die Erforschung der Apokalyptik, in: D. Hellholm (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East. Proceedings of the International Colloquium on Apocalypticism, Uppsala, August 12-17, 1979, Tübingen 1983, (495-530) 498.

[9] G. Scholem, Zum Verständnis der messianischen Idee des Judentums, in: K. Koch / J.M. Schmidt (Hg.), Apokalyptik, WdF 365, Darmstadt 1982, (327-369) 335.337.

[10] K. Vondung, Die Apokalypse in Deutschland, München 1988, 10.

[11] Vgl. T. Meyer, Utopie und Apokalypse. Unter besonderer Berücksichtigung des literarischen Expressionismus, Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch 26 (2000), (163-224) 184ff.

[12] A.a.O., 166.

[13] W. Zimmerli, Grundriß der alttestamentlichen Theologie, ThW 3/1, Stuttgart u.a. 61989, 212.

[14] Den Begriff der „kupierten Apokalypse“ hat K. Vondung, Inversion der Geschichte. Zur Struktur des apokalyptischen Geschichtsdenkens, in: D. Kamper / Chr. Wulf (Hg.), Das Heilige. Seine Spur in der Moderne, Frankfurt a.M. 1987, (600-624) 615, geprägt. Nach O. Briese, Einstimmung auf den Untergang. Zum Stellenwert „kupierter“ Apokalypsen im gegenwärtigen geschichtsphilosophischen Diskurs, AZP 20 (1995), (145-156) 145, dominieren „kupierte“ Apokalypsen den gegenwärtigen geschichtsphilosophischen Diskurs und zeugen vom Zerbrechen des einstigen Grundschemas der Dialektik von Untergang und Erneuerung: „Die Umkehrstruktur von Apokalypsen – Katastrophe und Rettung wird um den zweiten Teil beschnitten: Die Katastrophe ist die Katastrophe. Sie stellt sich nicht um möglicher Errettung willen ein – ein Motiv jeder Theodizee oder Anthropodizee -, sondern sie zeitigt unwiderruflich das Ende. Apokalypse ist Finale. Sie ist aber nicht Höhepunkt, sondern Schlußpunkt.“

[15] G. Anders, Die atomare Drohung (= 4. Aufl. von „Endzeit und Zeitende“ (1959), München 1983, 207, identifizierte in den 50er Jahren angesichts der atomaren Bedrohung die „nukleare Apokalypse“, die den Weltuntergang als von Menschen verursachte und gemachte Vernichtung erwartete und als gottlose Apokalypse weder Gericht noch Gnade kenne, als „eine nackte Apokalypse, d.h. die Apokalypse ohne Reich“. Nach Anders ist der im teleologisch orientierten Fortschrittsglauben vorhandene Gedanke des „Reiches ohne Apokalypse“ gegen diesen Gedanken von der „Apokalypse ohne Reich“ einzutauschen.

[16] Vgl. T. Meyer, a.a.O., 163: „In der modernen Bedeutung wird der positive Aspekt, die Erneuerungsidee, ausgeschieden, und der Begriff ‚Apokalypse’ bezeichnet den totalen Untergang, die absolute Endzeitkatastrophe, die Vernichtung der Menschheit.“

[17] W. Zimmerli, a.a.O., 202.

[18] G.M. Martin, Weltuntergang. Gefahr und Sinn apokalyptischer Visionen, Stuttgart 1984, 28.

[19] Vgl. a.a.O., 75.

[20] Vgl. J. Fischer, Wahrnehmung als Proprium und Aufgabe christlicher Ethik, in: ders., Glaube als Erkenntnis. Zum Wahrnehmungscharakter des christlichen Glaubens, BEvTh 105, München 1989, 91-118.

[21] So z.B. W. Schmithals, Die Apokalyptik. Einführung und Deutung, Göttingen 1973, 35f.81ff.

[22] G. Sauter, Art. Apokalyptik VI. Dogmatisch, 4RGG 1 (1998), (596f.) 596.

[23] So etwa J. Ebach, Apokalypse. Zum Ursprung einer Stimmung,  Einwürfe 2 (1985), (5-61) 12.

[24] R. Albertz, Der Gott des Daniel. Untersuchungen zu Daniel 4-6 in der Septuagintafassung sowie zur Komposition und Theologie des aramäischen Danielbuches, SBS 131, Stuttgart 1988; ders., Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit. Teil 2: Vom Exil bis zu den Makkabäern, GAT 8/2, Göttingen 1992, 633ff. Vgl. auch ders., The Social Setting of the Aramaic and Hebrew Book of Daniel, in: J.J. Collins / P.W. Flint (Hg.), The Book of Daniel. Composition and Reception Vol. 1, VT.S. 83/1, Leiden 2001, 171-204.

[25] Ders., Religionsgeschichte, 637.

[26] Ebd.

[27] A.a.O., 676.

[28] Vgl. a.a.O., 650f.; ders., Gott, 155ff.

[29] Ders., Religionsgeschichte, 663.

[30] A.a.O., 660.

[31] A.a.O., 668f.

[32] Siehe vor allem K. Wengst, Erfahrungen und Bilder von Krieg und Frieden in der Offenbarung des Johannes, in: J.-E. Gutheil / S. Zoske (Hg.), „Daß unsere Augen aufgetan werden...“. FS H. Dembowski, Frankfurt a.M. u.a. 1989, 98-116; ders., Pax Romana. Anspruch und Wirklichkeit. Erfahrungen und Wahrnehmungen des Friedens bei Jesus und im Urchristentum, München 1986, 147-166.  

[33] K. Wengst, Pax Romana, 151.

[34] A.a.O., 147.

[35] Vgl. a.a.O., 165f.

[36] A.a.O., 149.

[37] Vgl. a.a.O., 159f.: „Ist das Lamm ‚Herr der Herren und König der Könige’ [17,14; 16,16; vgl. 1,5], dann ist der Protest, den sein Tod darstellt, nicht mehr nur ohnmächtiger Protest, sondern zum Ziel gekommener Protest, der die Roms Herrschaft kulminierende Gewaltgeschichte schon abgebrochen hat und bald endgültig abbrechen wird. Er ist Zeugnis für eine Gegenwirklichkeit: Nicht die gewalttätigen Sieger der Geschichte haben Zukunft, sondern gerade ihre Opfer. Die Bilder der Apokalypse vom Sieg des Lammes widersprechen der erfahrenen Wirklichkeit, in der die Lämmer gerade nicht siegen, sondern geschlachtet werden. Sie bilden daher ein Widerstandspotential, dieser Wirklichkeit in widersprechendem Leiden standzuhalten und damit Zeugnis zu geben für eine andere Wirklichkeit, eine Gegenwirklichkeit von Frieden und Gerechtigkeit, die stärker ist.“

[38] U.B. Müller, Die Offenbarung des Johannes, ÖTK 19, Gütersloh / Würzburg 21995, 59.

[39] O. O’Donovan, The Political Thought of the Book of Revelation, TynB 37 (1986), (61-94) 90.

[40] J. Moltmann, Das Kommen Gottes. Christliche Eschatologie, Gütersloh 1995, 228.

[41] R.H. Charles, Religious Development Between the Old and New Testaments, London 1914, 30. Vgl. auch a.a.O., 16. Dieses Urteil gewinnt seine Evidenz allein schon aufgrund der Tatsache, dass große Teile der (frühjüdischen) apokalyptischen Literatur – etwa des äthiopischen und slavischen Henoch – im formgeschichtlichen Sinne aus Paränese bestehen. So Ph. Vielhauer, Neutestamentliche Apokryphen Bd. 2: Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 31964, 412; ders., Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, Berlin / New York 1975, 490.

[42] J.C. Beker, Paul’s Apocalyptic Gospel. The Coming Triumph of God, Philadelphia 1984, 110.

Zitierempfehlung:
Marco Hofheinz, Widerstandstheologie. Die politisch-ethische Dimension biblischer Apokalyptik (2009), auf reformiert-info.de: URL: http://www.reformiert-info.de/3882-0-0-3.html (Abrufdatum)