Bertold Klappert: Die Öffnung des Israelbundes für die Völker II

Bundestheologie bei Johannes Calvin und Johannes Coccejus

I Die Bundestheologie der reformierten Reformation
1. Der Christus-Abraham Bund (H. Bullinger)
2. Der Christus-Abraham-David-Bund (J. Calvin)
3. (J. Coccejus)
II Der universal erweiterte Israelbund (K. Barth)
III Tendenz auf Vermischung und Vereinnahmung 
Fragen an Barths Bundestheologie

2. Der Christus-Abraham-David-Bund (J. Calvin)

Calvin ist in der Bundestheologie ein treuer Schüler Bullingers gewesen. Er hat nur wenige eigene Akzente gesetzt:

•   Calvin hat aus christologischen Gründen den David-Bund als Präfiguration und Spiegel des kommenden Christus-Bundes stärker als Bullinger hervorgehoben. Weshalb ich bei Calvin von einem Abraham-David-Christus-Bund spreche.

•   Calvin hat den einen Bund nicht zur übergreifenden Klammer seiner ganzen Theo­logie in der Institutio gemacht, sondern zwischen Bund (Inst II 9–11), Reich Gottes (III 6–10) und Erwählung (III 21–24) unterschieden.

•   Calvin hat die Mosetora – der ethischen Orientierung seiner Theologie entsprechend – aufgewertet, indem er nicht nur – von Luthers Katechismus herkommend – den elenchthischen Charakter des Gesetzes, sondern mit Jer 31 den weisenden Charakter der Tora entfaltet hat (Inst II 7,12). Und zwar im Rahmen der Lehre von dem einen ungekündigten Bund in der Verschiedenheit der Zeiten des Alten und des Neuen Testaments. Calvin hat von daher die Mosetora nicht a) nur – Luthers Katechismus folgend – auf die Sündenerkenntnis bezogen: das Gesetz ist Spiegel der Sündenerkenntnis (Inst II 1–5), das uns zu Christus, dem Versöhner, treibt (II 6,1). Sondern Calvin hat die Mosetora b) primär dem Zusammenhang des einen Bundes in der Verschiedenheit des Alten und Neuen Testaments zugeordnet und eingeordnet (Inst II 8 innerhalb von II 6–11).

•   Die Bedeutung dieser erst in der letzten Fassung der Institutio von 1559 vorgenommenen Verklammerung der Mosetora mit dem einen Bund in der Verschiedenheit der Zeiten des Alten und Neuen Testaments ist theologisch bis heute nicht ausgeschöpft, wie B.S. Childs zurecht hervorgehoben hat[1]

•   Die Bedeutung dieser positiven Verklammerung von Mosetora und Bund bei Calvin ist auch hermeneutisch bis heute nicht entfaltet: Dem Doppelzeugnis des Alten Testaments in Tora und Propheten (wobei die Propheten die Tora auslegen und nicht aufheben) entspricht nach Calvin im Neuen Testament das Doppelzeugnis von Evangelisten und Aposteln (wobei wiederum die Apostel als Ausleger der Evangelisten verstanden werden müssen), so daß das gesamtbiblische Zeugnis als aus Tora und Propheten einerseits und Evangelisten und Aposteln andererseits bestehend verstanden werden muß.

Trotz der calvinischen Aufwertung der Mosetora gegenüber Bullinger, sprechen weder Bullinger noch Calvin vom Mosebund, sondern lediglich von der Erneuerung des Bundes mit den Vätern (Abraham-Bund) durch die Gabe der Mosetora. Dem Abraham-David-Christus-Bund (Inst II 6) wird so die Mosetora eingeordnet (II 8).
Die mit Zwingli und Bullinger geteilte apologetische Orientierung Calvins zur Verteidigung der kirchlichen Kindertaufe macht es verständlich, daß die Theologie des einen Bundes nach Inst II 7–11 von Calvin besonders in Inst IV 16 im Zusammenhang mit der Kindertaufe behandelt wird:
Die Juden durch die Beschneidung (Gen 17) wie die Heiden durch die Taufe (Eph 2) werden in den Gnadenbund Gottes hineingenommen, d.h. in die Ekklesia, in das eine alttestamentliche und neutestamentliche Gottesvolk (nicht: in das Gottesvolk des alten und neuen Bundes), in das eine Gottesvolk Israel[2], in die eine Kirche der Erwählten von Anfang an[3].
Zwischen Gen 17 und Eph 2 steht nach Calvin Christus, der als der Abrahamsohn (Gal 3,16; Mt 1,1) das Fundament sowohl der Beschneidung als auch der Taufe ist[4]. Durch das Kommen Christi ist die Taufe an die Stelle der Beschneidung getreten, die Taufe hat also die Beschneidung ersetzt, wenn auch die Beschneidung die Präfiguration der Taufe ist, die Taufe also in sachlicher Kontinuität zur Beschneidung steht, die Beschneidung zur Zeit des Alten Testaments – weil Präfiguration der christlichen Taufe – nicht abgewertet wird.
Calvins von der Theologie des einen Bundes her bestimmte Stellung zum zeitgenössischen Judentum, die in letzter Zeit viel diskutiert worden ist, folgt m. E. der Linie seines Freundes H. Bullinger.

Bringt man alle positiven Aussagen Calvins über die Juden, die das geistliche Israel des einen Gnadenbundes von Abraham bis Christus und also nicht das zeitgenössische Judentum meinen, in Abzug und stellt man in Rechnung, daß Calvin in seinem Römerbrief-Kommentar von 1539 das Israel von Röm 11,25f als die aus Juden und Heiden vollendete Kirche versteht, so bleibt von der prophetischen Verheißung für Israel im Hinblick auf das zeitgenössische Judentum festzuhalten: Um der Verheißung willen bleibt der Segen auch unter den Christus ablehnenden Juden; wegen der Ablehnung Christi dürfen wir die Juden nicht verachten[5].

Calvin erwartet also wie Bullinger die Integration des am Ende durch Christus erretteten Judentums in die Kirche als das vollendete Israel, in die vollendete Kirche aus Juden und Heiden. Die una ecclesia, das eine ökumenische Gottesvolk des Christus-Abraham-David-Bundes, ist auch hier der Bezugs- und Orientierungspunkt für die Rettung des zeitgenössischen, ungläubigen, wenn auch weiterhin unter dem Segen der Erwählung stehenden Judentums durch den kommenden Christus. In die Kirche der Erwählten von Anfang an wird am Ende auch das zu Christus findende zeitgenössische Judentum einbezogen und aufgenommen werden. Ein Israel außerhalb der „Kirche aus Juden und Heiden“ gibt es nicht und wird es – eschatologisch vollendet – auch nicht geben. Die Kirche selber wird das vollendete Israel von Röm 11,25f sein.

3. Das foederal-theologische Verständnis des Bundes (J. Coccejus)

Zwingli, Bullinger und Calvin hatten noch nicht von einem Bund mit Adam gesprochen, so sehr auch sie das Protevangelium von Gen 3,15 betonen. Calvin betonte nach dem Noah-Bund entscheidend zuerst den Abraham-Bund als Gnadenbund zwischen Gott und Israel vor Christus. Mose ruft den Gnadenbund Gottes mit Abraham in Erinnerung. Die dem David gegebenen Verheißungen über die Beständigkeit seiner Herrschaft verbürgen den Bestand des einen Bundes[6].
Freilich hatte Calvin schöpfungstheologisch von den Spuren der lex naturalis im Gewissen gesprochen[7], insofern Gott der Schöpfer des Menschen ist. Calvin hatte also das im Blick, was wir heute die universalkosmische Dimension der Tora oder die Beziehungen zwischen Tora und Schöpfung (Ps 19) nennen.
Genau diese Leerstelle, derzufolge von einem Bund Gottes mit Adam noch nicht gesprochen wurde, wird aber durch Vermittlung des Melanchthon-Schülers Ursin (foedus naturae) über Gomarus (foedus naturale) bis hin zu Polan (foedus operum) von Coccejus ausgefüllt und inhaltlich-begrifflich als Werkbund bezeichnet[8].

Dieser Werkbund – so analysiert Barth – ist bei Coccejus „sogar so etwas wie das beherrschende Prinzip des Ganzen. Dieser Bund gründet sich auf das Gesetz mit seiner Verheißung und Drohung, das Adam ins Herz geschrieben war, von dem das Gewissen noch immer Zeugnis gibt, das ... seinem Inhalt nach auch mit dem mosaischen Dekalog übereinstimmt“[9]. An den Anfang der Geschichte Gottes mit dem Menschen rückte damit – nicht mehr am Abraham- und Christus-Bund orientiert – „die seltsame Schau jenes Paradiesmenschen, dem das ewige Leben als zu verdienender Lohn verheißen ist, dessen Werke dem Gebot Gottes (wenn auch in einem noch ungefestigten Gehorsam) entsprechen können..., zwischen dem und Gott also klar das Verhältnis eines do ut des besteht. Dieses Verhältnis soll jetzt die Urgestalt des Bundes sein“[10].

Durch diese Konstruktion eines Werkbundes am Anfang wird aber nicht nur die Mosetora zur Wiederauflage der lex naturalis, werden nicht nur die weiteren Etappen der Bundesgeschichte negativ an diesem Werkbund orientiert, so daß dieser Werkbund heimlich zum theologischen Rahmen und Maß des Gnadenbundes aufsteigt[11], sondern es wird sogar Christi Funktion als Mittler und „zweiter Adam darin bestehen, daß er eben das vom ersten Adam und von uns Anderen allen übertretene Gesetz jenes Natur- und Werkbundes an unserer Stelle erfüllt“[12]. Christus ist nun nicht mehr – bundestheologisch verstanden – zuerst der verheißene Messias Israels zur Bekräftigung und Aufrichtung des einen Gnadenbundes, sondern Christus realisiert nun – primär als der zweite Adam verstanden – die im Rahmen des Natur- und Werkbundes verstandene Ebenbildbestimmung jedes Menschen.

Damit wird der Gnadenbund zur Abarbeitung und Erfüllung des ursprünglich durch das „do ut des“ charakterisierten Werk- und Naturbundes, damit wird auch die Mosetora zur Wiederauflage des im Gewissen gegebenen Naturgesetzes, damit wird Christus schließlich – unter Umgehung der konstitutiven Israeldimension des Gnadenbundes – wesentlich zur Erfüllung der Ebenbildbestimmung des durch den Werk- und Naturbund charakterisierten Adam.
Diese problematische Vorordnung des Natur- und Werkbundes und damit die theologisch so problematische Umgehung des Israelbundes läßt umgekehrt die Frage nach dem konsequenten Einsatz bei der Unvergänglichkeit des Israelbundes zur systematischen Forderung werden. Dieser konsequente Ansatz bei der Unvergänglichkeit des Israelbundes ist entscheidend durch Karl Barths theologischen Neuentwurf erfolgt. Ihm wenden wir uns nun zu.

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[1]  B. Childs: Biblical Theology of the Old and New Testament 1992, 47; U.F. Bauer: All diese Worte. Impulse zur Schriftauslegung aus Amsterdam, Frankfurt 1991, 26ff.
[2]    J. Calvin: Institutio 1559, 216.
[3]    K. Barth: Die Theologie Calvins 1922, hg. von H. Scholl, Zürich 1993, 232ff, 237ff.
[4]    J. Calvin: (Anm. 16) 915.
[5]    a.a.O. 923.
[6]    G. Schrenk: (Anm. 4), 45.
[7]    J. Calvin: (Anm. 16), 218f.
[8]    Vgl. die ausführliche Interpretation dieses wichtigen theologiegeschichtlichen Zusammenhangs bei K. Barth: KD IV/1,57ff.
[9]    K. Barth: KD IV/1,62.
[10]  a.a.O. 66.
[11]  a.a.O. 63, 65.
[12]  a.a.O. 66.

 

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